Ein Macho auf Abwegen
Antwort.
Christina wurde es übel.
Schon wieder alles von vorne! Noch keine drei Monate war sie
in Köln gewesen. Nur knapp ein Viertel Jahr hatte es gedauert, bis sie
aufgeflogen war. Würde es jetzt immer und ewig so für sie weitergehen? Drei
Monate, um Wohnung, Arbeit und vor allen Dingen Freunde zu finden, um dann
wieder hochzugehen und von der Bildfläche verschwinden zu müssen? Könnte sie so
ein Leben führen? Immer auf der Flucht, wie Richard Kimble. Sie durfte auf
keinen Fall mehr in einem Hotel arbeiten. Wer weiß, wer ihr noch alles über den
Weg liefe? Nein, sie musste eine Arbeit finden, wo sie nicht in Kontakt mit den
verschiedensten Fremden kommen konnte. Am Besten in einem Büro. Tür zu und
tippen! Ja, su-per! Den Computerkurs hatte sie ja auch noch nicht beendet!
Jetzt hatte sie obendrein darüber auch kein Zertifikat! „Maldita sea!
Verdammter Mist!“, fluchte sie wütend. Sie musste wirklich alles noch einmal
auf Anfang zurückspulen. Wie beim Kassettenrecorder: Fast Rewind and Play.
Der Zug fuhr in den Hamburger Hauptbahnhof ein, und
Christina wartete darauf, dass die automatische Türe sich öffnete. Auf dem
Bahnsteig blieb sie erst einmal stehen, um sich zu orientieren. Als erstes
brauchte sie ein Zimmer oder wenigstens die Möglichkeit ihr Gepäck abzustellen.
Sie entdeckte einen Informationsschalter für Touristen. Dort gab man ihr eine
Liste mit Hamburger Hotels der verschiedensten Preisklassen. Vom öffentlichen
Fernsprecher aus wählte sie einige Nummern und erkundigte sich nach freien
Zimmern. Sie hatte Glück. Ein nicht allzu teures Hotel in der Nähe des
Rathauses hatte ein Bett für sie frei. Sie ließ sich den Weg dorthin erklären
und nahm statt eines Taxis lieber die U-Bahn über die Mönckebergstraße. Nach
zwei Haltestellen stieg sie aus und fragte nach dem Weg. Vollkommen schachmatt
von der Gepäckschlepperei kam sie schließlich bei der gesuchten Adresse an.
„Wie lange werden Sie bleiben, Frau Klasen?“, fragte sie der
Rezeptzionist beim Einchecken. Sie überlegte einen Moment. „Höchstens ein paar
Tage, denke ich. Wäre das Zimmer denn für mehr als eine Nacht verfügbar?“ Der
Portier schaute in seinem Reservierungskalender nach. „Ja, das wäre möglich. Es
wäre nett, wenn Sie mir spätestens morgen Genaueres sagen könnten. Darf ich
Ihnen das Gepäck abnehmen?“, fragte er und führte Christina die Treppe hinauf
bis zu ihrem Zimmer.
Sie ließ sich kraftlos auf das Bett fallen und kam schon
wieder ins Grübeln. Bis morgen musste sie zumindest eine Lösung für die nächsten
Tage gefunden haben. Für einen längeren Aufenthalt war es hier in diesem
Quartier sowieso viel zu teuer. Und überhaupt waren Hotels ab sofort kein
passender Ort mehr für sie. „Also, keine Zeit verlieren!“, sagte sie laut und
rappelte sich wieder auf. Sie machte einen Spaziergang durch die Stadt und
nutzte die erste Gelegenheit zum Telefonieren, um Pilar in Spanien anzurufen.
„Dreimal darfst du raten, wo ich bin, Pili!“, rief sie in
den Hörer. Sie ließ ihre Freundin jedoch gar nicht erst mit dem Rätseln
anfangen, stattdessen begann Christina ihr hektisch die Geschehnisse des
Vormittags mitzuteilen.
Pilar konnte Christina überhaupt nicht folgen. „Robert? Über
dich hergefallen? Video? Sex-Club? Hamburg? Christina, jetzt hol’ bitte einmal
tief Luft, und erzähl’ mir das alles der Reihe nach! Ich verstehe immer nur
Bahnhof!“ Und so erzählte Christina ihrer Freundin die ganze Bescherung noch
einmal, haarklein und von Anfang an. „Dios mío, pobrecita! Ach, Christina, du
Ärmste! Das tut mir so Leid für dich! Es hörte sich bisher doch alles so prima
an! Du hast dich doch richtig wohlgefühlt in Köln! Du meinst, es müsste noch
eine Kamera im Penthouse geben mit einer Aufzeichnung aus der besagten Nacht?“
„Ja, Pili. Wenn ich diesen Film hätte, könnte ich ihn den
Kindern zeigen. Und dann müssen sie mir ja alles glauben“, begeisterte sich
Christina. „Du bist ja wohl vollkommen verrückt, Christina! Du hast wirklich
vor, Manuel und Isabella vorzuführen, wie ihre Mutter vergewaltigt wird und ihr
Vater stirbt? Das kann ja wohl nicht dein Ernst sein, muchacha!“
Pili hatte Recht. Das durfte sie nicht tun. „Dann musst du
wenigsten herausfinden, ob es diese Kamera noch gibt, Pili. Ich muss dieses
Video haben! Verstehst du das?“
„Ja, verstehe ich. Meinst du nicht, Kaiser könnte geblufft
haben?“, fragte Pilar noch einmal kritisch nach. „Nein,
Weitere Kostenlose Bücher