Ein Macho auf Abwegen
die
Neuankömmlinge. Die Heimneulinge blieben dort meistens nur ein paar Stunden,
bis geklärt war, in welche der kleinen Wohngemeinschaften des Hauses sie
einziehen konnten. Ein Fernsehzimmer und ein Aufenthaltsraum für die
Allgemeinheit befanden sich in der Nachbarwohnung der Verwaltungs- und
Erstaufnahmewohnung im Erdgeschoss. Dort fanden ab und zu gemeinsam gestaltete
Abende statt, oder man traf sich hier einfach nur zum Klönen, wenn man nicht
alleine sein wollte. Im Keller gab es noch Platz für die Kinder, wo sie sich
auch im Winter austoben konnten, ohne andere durch lautes Geschrei und Getobe
zu stören.
Jede Wohnung hatte vier Räume nebst einer Küche und einem
Bad. In jedem Zimmer wohnten zwei bis drei Personen. Manchmal bewohnte eine
Mutter solch ein Zimmer auch mit bis zu drei Kindern. Es kam immer auf die
aktuelle Belegungssituation an. „Leider Gottes sind wir immer nahezu
überbelegt, weil es nie aufhört. Nie!“, stöhnte Frau Fink.
„Ja, und Geld gibt es bestimmt auch nicht genug, deshalb reicht
es nie“, fügte Christina hinzu. „Wem sagen Sie das?“, antwortete die
Heimleiterin resignierend.
Christina bot sich hier die gleiche Szenerie wie in Köln.
Auch hier schaute sie in die gleichen bekümmerten Mienen und zutiefst
traurigen Frauen- und Kindergesichter mit ihren gebrochenen und
desillusionierten Blicken.
Sie fing ihre Tätigkeit sofort am nächsten Tag an. Elisabeth
erzählte sie nur, sie hätte eine Stelle als Schreibkraft gefunden, wo sie
allerdings nur auf Probe beschäftigt sei. Sie wollte ihrer Zimmerwirtin einfach
nicht erzählen wo sie jeden Tag hinging und erst recht nicht begründen, warum
sie in einem Frauenhaus arbeitete. Elisabeth fragte jedoch nach ein paar Tagen
vorsichtig nach, weshalb ihre Mieterin denn dort bis spät in der Nacht arbeiten
musste. „Ach, Elisabeth. Ich habe dort jemanden ganz Nettes kennen gelernt. Ein
Kollege, wissen Sie?“ Das genügte, um der alten Dame ihre abendliche
Abwesenheit zu erklären. „Na, Christina, Sie lassen wohl nichts anbrennen!“
So bestand Christinas Tagesablauf von nun an aus Frauenhaus,
Essen, Schlafen, Bewerbungen schreiben und das anschließende Warten auf eine
Einladung zur persönlichen Vorstellung.
- 5 -
Als Christina abends hundemüde vom Frauenhaus in die Pension
zurückkam, winkte Elisabeth ihr schon an der Tür mit einem Briefumschlag zu.
„Schauen Sie mal, Christina! Es ist ein kleiner Umschlag!“ Große braune
Umschläge bedeuteten immer eine Absage. Kleine Weiße dagegen waren stets eine
Einladung zum Vorstellungsgespräch, das wusste sogar die alte Dame zu
unterscheiden. „Ich dachte, Sie hätten jetzt eine Arbeit!“, rief sie weiterhin
fröhlich mit dem kleinen Weißen wedelnd. „Ja, aber es ist nichts Sicheres. Ich
weiß ja gar nicht, ob die mich behalten wollen!“ Christina schaute erst einmal
auf den dicken blauen Stempel auf dem Kuvert. Musikverlag GBM, Hamburg, stand
in fetten Lettern oben rechts. Sie riss den Kleinen hastig auf.
Sehr geehrte Frau Klasen,
vielen Dank für Ihre Bewerbung. Bla, bla, bla ...
Wir würden uns freuen, wenn Sie sich am Donnerstagnachmittag
um 14.00 Uhr persönlich bei uns vorstellen könnten.
Mit freundlichen Grüßen
A. Gerber
Communicationcentre
Der Verlag hatte eine Stellenanzeige im Morgenblatt
ausgeschrieben, und es war bereits einige Zeit verstrichen, seit Christina ihre
Bewerbung als Schreibkraft abgeschickt hatte.
„Mister-mit-freundlichen-Grüßen-A.-Gerber! Ich werde da
sein!“, johlte Christina lachend los.
Christina stand ehrfürchtig vor dem grandiosen, gläsernen
Gebäude mit seinen unzähligen Stockwerken. Sie schaute noch einmal kurz an sich
herunter. Keine Flusen, keine Flecken! Ihr schwarzer Bewerbungsanzug saß
perfekt. Sie musste auf einmal an ihre Mutter denken. Wenn sie als Kind mit ihr
zusammen egal wohin gegangen war, machte Mama Klasen immer vor der Türe halt
und kontrollierte stets Christinas Aussehen. Diese Angewohnheit hatte Christina
leider Gottes von ihr übernommen. Sie musste unwillkürlich lächeln. Wenn sie
heute mit ihrer Mutter hier gewesen wäre, hätte diese jetzt einmal kräftig in
ein frischgestärktes Spitzentaschentuch gespuckt, um anschließend mit der
Rotzfahne einmal durch das Gesicht ihrer Tochter zu feudeln. Christina hatte
das gehasst wie die Pest. Stattdessen kramte sie in ihrer Handtasche nach ihrem
Schminkspiegelchen, um ihr
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