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Ein Macho auf Abwegen

Ein Macho auf Abwegen

Titel: Ein Macho auf Abwegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Hitzblech
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ja auch nachvollziehen, wenn sie wieder
einmal nicht in die engere Wahl genommen wurde. Sie hatte einfach keine
Berufserfahrung vorzuweisen, und in Anbetracht der jungen und attraktiven
Konkurrenz war sie mit ihren fast einundvierzig Jahren ganz eindeutig zu alt.
    Ja, sie musste schlicht und ergreifend damit leben, im
Berufsleben schon zum alten Eisen zu gehören. Dabei würde sie in einem
Großraumbüro hinter einem Bildschirm ziemlich anonym arbeiten. Dort würde sie
doch niemanden mit ihrem hohen Alter belästigen! Du musst Geduld haben,
Christina!, forderte sie sich selber auf, aber das war gar nicht so einfach.
    Sie wurde mit der Zeit immer frustrierter und deprimierter.
Ihr Geld vom Girokonto war inzwischen aufgebraucht, und sie musste schon ans
Eingemachte auf dem Sparbuch gehen. Sie brauchte ganz einfach eine Aufgabe. Sie
konnte so nicht mehr weitermachen. Inzwischen war es ihr auch schon egal, wo
sie arbeiten könnte. Für sie war nun sogar eine Anstellung als Zimmermädchen
wieder denkbar.
    So entschloss sie sich eines Tages, während eines Spazierganges
am Hafen, es erneut in einem Frauenhaus zu versuchen. Dort würde sie
zugegebenermaßen kein Geld verdienen, könnte aber wenigsten ihre Zeit
sinnvoller verbringen. Nach dem gleichen Schema wie in Köln, erhielt sie über
das Sozialamt eine Telefonnummer, die sie sofort anrief.
    Das Haus lag etwas außerhalb, war aber gut mit der U-Bahn zu
erreichen. Ganz im Gegenteil zum Kölner Frauenhaus war das Gebäude ziemlich
modern. Der Bau war auch viel größer als die alte Villa am Rhein. Das Gelände
war von einem hohen Metallzaun umgeben, und der Garten machte einen gepflegten
Eindruck. Es gab sogar einen kleinen Kinderspielplatz mit Sandkasten und
Klettergeräten, nebst Bänken für die Mütter. Das weißgestrichene Haus musste
früher ein Mehrfamilienhaus gewesen sein. Es hatte drei Stockwerke mit jeweils
acht Fenstern zur Straßenseite. Es gab acht Klingeln, doch neben keiner der
Schellen stand ein Name geschrieben.
    Christina drückte die unterste, und es meldete sich sogleich
eine Frauenstimme durch die Gegensprechanlage. „Mein Name ist Christina Klasen.
Ich habe einen Termin mit Frau Fink“, rief sie in das Mikrofon. Die Tür wurde
durch einen elektrischen Summer geöffnet, und Christina kam gleich die lang
vermisste Geräuschkulisse entgegen. Laute Musik, lachende, tobende,
gleichzeitig natürlich auch brüllende und streitende Kinder. Ach, das ist wie
Musik in meinen Ohren!, dachte sie freudig erregt.
    Im Erdgeschoss öffnete sich eine Tür, und eine so gar nicht
in diese moderne Atmosphäre passende Frau begrüßte sie. Alles an dieser Frau
war irgendwie grau. Ihre Haare, die sie zu einem Knoten im Nacken gedreht
hatte, ihre schlabberige Strickjacke und auch ihr schmaler, bis zu den Waden
reichender Flanellrock. Die Hornbrille auf ihren ungeschminkten Augen machte
ihr strenges Äußeres perfekt. Das originale Fräulein Rottenmeier aus Heidi,
assoziierte Christina spontan. Ob ich mit der überhaupt  zurechtkäme? Doch der
zunächst so harte Blick verwandelte sich in ein warmes Lächeln, als Frau Fink
ihre Besucherin begrüßte. Im Büro gab es frischen Kaffee, aber keinen leckeren
Hilde-Clement-Kuchen.
    Die beiden Frauen sprachen über ihre Erlebnisse mit
misshandelten Frauen, und Christina erzählte Frau Fink von ihrer Arbeit mit den
Kindern in Köln. „Na, dann wissen Sie ja Bescheid, was hier alles auf Sie zukommen
wird“, lachte Frau Fink. „Aber warum sind Sie jetzt in Hamburg, Kindchen?“
Christina schaute Frau Fink mit großen Augen an und dachte nur:  Aha, das Wort
„Kindchen“ hat Fräulein Rottenmeier auch in ihrem Vokabular! Man sollte einmal
nachfragen, ob sie etwas mit Babsie Bachmaier zu tun hat. „Ach, Frau Fink, ich
habe zwanzig Jahre in Spanien gelebt. Nun bin ich dieses Jahr wieder zurück
nach Deutschland gekommen, weil ich mich von meinem Mann getrennt habe. Jetzt
bin ich auf der Suche nach einer neuen Heimat. In Köln war ich bei meiner
Tante, aber das war nicht ganz das Richtige. Jetzt möchte ich gerne Hamburg
ausprobieren.“ Christina versuchte einen sorglosen und entkrampften Ton
aufzulegen. Frau Fink stellte, Gott sei Dank, auch keine lästigen Fragen. „Ja,
Kindchen, wenn Sie Lust haben, zeige ich Ihnen gerne unser Heim. Wir freuen uns
jedenfalls über jede helfende Hand!“
    Sie erhob sich zum Rundgang. In der Wohnung, in der sich das
Büro der Heimleiterin befand, gab es noch drei weitere Zimmer für

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