Ein Macho auf Abwegen
„Lounge“, vielmehr in der
Drei-Zwei-Eins-Sofaecke, vor dem „Communicationcentre“ war nur noch ein
Plätzchen frei geblieben. Die restlichen Sitzgelegenheiten waren durch sehr
junge, sehr hübsche und sehr knapp bekleidete pubertierende Fräuleins belegt.
Wie immer!, dachte Christina. Diese jungen Dinger waren aber
wirklich eine Plage! Konnte man denn nicht einmal unter sich sein? Haut alle
ab! Geht nach euch! Hier komme ich!
Christina grüßte freundlich, setzte sich in die
freigebliebene Sofaecke und musterte die jugendliche Konkurrenz. Lange Beine,
kurze Röcke, knappe Shirts! Also, wenn ich hier ‘was zu sagen hätte, würde ich
keine von den aufgetakelten Teenies einstellen. Die müssen doch eigentlich
ständig ‘was an der Blase haben! Sie grinste. Ob diese Küken überhaupt wussten,
dass es sich hier um einen weiblichen Interviewer handelte? – Bestimmt nicht.
Die hatten sich ganz und gar, vom Dekolleté bis zur Rocklänge auf ein
männliches Wesen eingestellt. Das war doch wohl offensichtlich! Christina
wertete diese Tatsache als klaren Vorteil für sich. Advantage, Christina
Klasen!, griente sie. Eins zu Null fürs Altersheim! Sie schaute noch einmal an
sich herunter. Eigentlich müsste sie allein schon wegen ihrer Aufmachung den
jungen Dingern da meilenweit im Wettlauf voraus sein. Aber was wäre, wenn
Mit-freundlichen-Grüßen-A.-Gerber vom anderen Ufer ist?, schwankte sie auch
schon wieder. Warum sollte eine tortillera nicht auch auf sie stehen? Na
wartet, die Oma wird’s euch schon zeigen, Mädels!, möbelte sie sich erneut auf.
Eine nach der anderen wurde hereingebeten. Die meisten
Gespräche dauerten nicht sehr lange, und die Mädels kamen meist mit einem
nichtssagenden Gesichtsausdruck wieder zurück. Christina konnte in ihren Mienen
weder Freude noch Enttäuschung erkennen.
Na, wer sagt’s denn!, triumphierte die Stubenälteste. A.
Gerber würde sich wohl nicht gleich an Ort und Stelle entscheiden. Jedenfalls
hatte keine Konkurrentin eine eindeutige Zusage bekommen. Das war klar!
Endlich war Christina an der Reihe. Sie betrat das Büro der
Abteilungsleiterin und traute ihren Augen nicht. Frau Gerber war genauso wenig
blond wie sie. Sie trug einen flotten, rotgefärbten Kurzhaarschnitt. Von Natur
aus dunkelbraun, erkannte Christina sofort. A. Gerber war in Christinas Alter,
gertenschlank, gerade richtig groß und hatte ein bildhübsches Gesicht mit zwei
tiefdunklen puppenhaften Kulleraugen. Sie ist superhübsch! Christina dankte den
geheimen Mächten, die sie offenbar angehört hatten. Fehlt nur noch, dass sie
geschieden ist! Christina hätte das am allerliebsten sofort nachgefragt. Ihre
Chancen standen ganz gut. Jedenfalls hatte A. Gerber keinen Grund missgünstig
zu sein. Ihr Gegenüber teilte desgleichen Christinas Vorliebe für korrekte
Kleidung. Sie trug ebenfalls einen Business-Hosenanzug, aber A. Gerbers war
grau.
Die Chefin des „Communicationcentres“ forderte Christina
freundlich auf Platz zu nehmen.
Frau Gerber schaute noch einmal auf Christinas Bewerbung.
„Ja, Frau Klasen! Dann erzählen Sie doch einmal etwas über sich! Aus ihrem
Lebenslauf konnte ich leider nicht sehr viel über Sie erfahren.“ Christina
wurde gleich wieder unsicher. Lügen war nun wirklich nicht ihre Stärke! „Sie
waren zwanzig Jahre lang in Spanien?“, fragte Frau Gerber ganz konkret.
Christina nickte. „Ja, das ist richtig. Ich war dort verheiratet. – Jetzt bin
ich nicht mehr mit meinem Mann zusammen und wollte wieder in Deutschland
leben.“ Sie sagte ihr gewohntes Sprüchlein auf: Ausbildung, Heirat, Hotel. „Ich
war niemals bei meinem Mann angestellt. Deshalb habe ich leider auch kein
Zeugnis oder Gehaltsnachweis“, schloss sie ihre Ausführungen ab.
„Haben Sie denn jemals in einem Schreibbüro gesessen und
täglich acht Stunden im Akkord getippt?“, fragte Frau Gerber mit bedenklichem
Blick. „Nein, natürlich nicht. Aber ich kann tippen! Ziemlich schnell sogar.“
Christina sah bereits ihre Felle davonschwimmen und überlegte kurz. Sie durfte
sich diese Chance nicht entgehen lassen! Sie wollte und musste diesen Job
unbedingt haben. „Hören Sie, Frau Gerber! Sie haben Recht. Ich verstehe ihre
Zweifel sehr gut. Ich würde mich an Ihrer Stelle auch schwer mit mir tun.“ Frau
Gerber lächelte. Christina konnte aber nicht den blassesten Schimmer eines
Mitleidlächelns in ihren Zügen erkennen. Ihre Gesprächspartnerin lächelte offen
und absolut vorurteilsfrei. Christina
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