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Ein Mädchen aus Torusk

Ein Mädchen aus Torusk

Titel: Ein Mädchen aus Torusk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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getrunken?«
    »Nichts, Genosse Unterleutnant. Der Mensch kommt durch die Schlucht direkt auf uns zu. Als wenn das so ganz selbstverständlich wäre! Es muß ein Fremder sein, denn die Bauern wissen ja, daß sie hier nicht gehen dürfen.«
    »Alarm!« brüllte Unterleutnant Schorpekin ganz unnötig. Aber er war froh, endlich einmal etwas brüllen zu dürfen, das eine Aktion auslöste. Er drehte an der Kurbel seines Telefons und gab zunächst dem Abschnittskommandanten durch, daß sich ein unbekannter Mann der Station III näherte. Dann rannten sie alle hinaus und stellten sich neben dem schützenden Felsvorsprung mitten in den Weg, die Maschinenpistolen im Anschlag.
    Betty Cormick tat in diesem Augenblick das Dümmste, was es nur gab. Alles, was sie gelernt hatte, wurde durch diese Überraschung weggewischt. Sie dachte vor allem nicht mehr daran, daß sie jetzt Amalja Semperowa hieß. Das plötzliche Aus-dem-Nichts-Hervorspringen von sechs Soldaten erschreckte sie dermaßen, daß sie sich herumwarf und flüchtete. Mit wilden, weiten Sätzen sprang sie die Schlucht wieder hinunter, nach vorn geduckt, den Kopf eingezogen, wie ein Hase, der hin und her schnellt.
    »Feuer!« schrie Unterleutnant Schorpekin. Er riß die Maschinenpistole hoch und schoß als erster. Neben ihm knatterten die anderen Gewehre.
    Betty machte noch ein paar Sätze, als sie die ersten Schüsse hörte und die Kugeln neben ihr in die Felsen schlugen, vom Stein abspritzten und als Querschläger über die Schlucht heulten. Sie sah nicht zurück, sie wußte, daß einige schossen und die anderen ihr nachliefen.
    Noch zehn Schritte, dachte sie. Noch acht, noch fünf … dann bin ich in dem Buschgelände, dann kann ich den Bach entlanglaufen, dann kann ich mich in die Höhlen verkriechen, die ich überall gesehen habe … noch drei Schritte …
    Unterleutnant Schorpekin schrie wie ein wildgewordener Ochse. »Das nennt man schießen!« tobte er. »Hat man euch so ausgebildet, ihr Hundeschwänze? Fressen und saufen und huren, das können sie. Aber einen Mann treffen, da schießen sie Löcher in die Luft! Ihr werdet strafversetzt! Alle! Alle!«
    Als er merkte, daß er unter alle auch sich selbst miteinbeziehen müßte, wurde er stiller und sichtlich traurig. Die beiden Rotarmisten, die dem Flüchtenden nachgelaufen waren, kamen atemlos zurück.
    »Der Kerl kann rennen wie ein wildes Schwein!« sagte der eine und lehnte sich keuchend an die Blockhütte. Dann spuckte er aus und suchte in der Tasche seines Mantels nach Sonnenblumenkernen. »Er war einfach weg!«
    »Und was soll ich jetzt dem Kommandanten melden?« stöhnte Schorpekin.
    »Er ist weg!« sagte auch der andere Verfolger.
    »Man sollte euch in der Latrine ersäufen!« Schorpekin ging wie ein gebrochener Mann zum Telefon. »Ich garantiere: Morgen werden wir abgelöst! So wird man das Opfer von Schwachsinnigen.«
    Das Auftauchen eines Fremden löste einen neuen Alarm aus. Aus dem Stützpunkt I kam eine ganze Kompanie und kämmte systematisch die Gegend durch. Ein Major der Abwehr wurde herbeigeflogen und verhörte die sechs Rotarmisten. Er fragte nach der Kleidung des Fremden, nach dem Aussehen, soweit man das überhaupt hatte feststellen können. Er fragte vier Stunden lang, ehe er sagte: »Ganz klar, Genossen – das war ein Agent! Ein Bauer aus der Gegend flüchtet nicht. Eine schöne Scheiße ist das! Wissen Sie, daß man diesen Agenten schon seit drei Tagen sucht? Er ist Amerikaner und von einer U-2 abgesetzt worden! Aber keine Sorge – jetzt, wo wir wissen, daß er im Land ist, entkommt er uns nicht!«
    Ein kleiner Trost war das auf die wunde Seele des Platzkommandanten. Er brüllte Unterleutnant Schorpekin zusammen, ließ die fünf Rotarmisten strafexerzieren und so lange Schießübungen machen, bis sie alle ein dick geschwollenes Kinn hatten von den Rückstößen der Kolben.
    Um die gleiche Zeit saß ein Mädchen Amalja Semperowa am Ofen des Bauern Gruschin und wärmte sich die klammen Hände. Auch bis in das Dorf Sapola war die Kunde von dem flüchtenden Spion gekommen. Die Bauern bewaffneten sich mit Knüppeln und Mistgabeln.
    Das Mädchen Amalja beachtete niemand. Es war ein liebes, armes Täubchen, das zu seiner Tante wollte und dem man weiterhelfen mußte.
    Die Jagd galt ja im übrigen einem Mann, den die Felsen verschluckt hatten. Daß ein Mensch so vollständig verschwinden konnte, begriff niemand. Nach drei Tagen einigte man sich darauf, daß er in eine Felsspalte gestürzt und

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