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Ein Mädchen aus Torusk

Ein Mädchen aus Torusk

Titel: Ein Mädchen aus Torusk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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gestorben sein mußte. Die Bauern beruhigten sich, die Soldaten noch nicht. Auch das war nichts Neues. Beim Militär dauert alles immer etwas länger, vor allem das Denken.
    Amalja Semperowa aber zog weiter nach Norden, auf einem Maultier ritt sie, von Dorf zu Dorf wurde sie weitergereicht, von Freund zu Freund. Und wo sie übernachtete und mit der Familie des Gastgebers auf den breiten, gemauerten Ofen kroch und sich auf die Decke legte, wurde sie freundlich aufgenommen und mußte von ihrer Tante Larissa erzählen, die so krank war, daß sie nicht mehr laufen konnte.
    »Einen dicken Kloß hat sie am Hals«, erzählte Amalja und war ganz traurig dabei, das arme Vögelchen. »So dick wie eine große Männerfaust.«
    Und die Bauern nickten. Jaja, was es so alles gibt. Wer weiß, wie man selbst einmal stirbt. Und sie gaben Amalja Semperowa Suppe und Kascha, Kartoffeln und einen Eierkuchen, gebratenen Speck und Fladen aus Sojamehl.
    Man hat doch nicht sein Herz verloren, Genossen.
    *
    Die Empörung Reeder Holgersons war groß. Er begriff nicht, wie sich seine Tochter Inken so weit erniedrigen konnte, nach Bremerhaven zu fahren und einem Mann zum Abschied die Hand zu reichen, der sie vor der Bremer Gesellschaft kompromittiert hatte. Einem Mann, der nun den Wahnsinn in die Tat umsetzte, ein russisches Bauernmädchen aus der Taiga herauszuholen. Als Inken aus Bremerhaven zurückkam, tobte Holgerson: »Läuft man einem Mann nach?«
    »Vielleicht kommt er nie wieder«, sagte Inken. In ihren Augen lag die endlose Traurigkeit.
    »Um so besser für uns!« fauchte Holgerson.
    »Ich liebe ihn, Vater. So darfst du nicht von ihm sprechen.«
    Sie ließ ihn stehen, ging auf ihr Zimmer und schloß sich ein. Dort blieb sie zwei Tage lang. Das Essen wurde ihr gebracht, und so sehr Holgerson mit seinem Vaterherzen rang – er fand nicht den Weg hinauf zu seiner Tochter. Er zog sich zurück in den alten Stolz, der gebot: Bei den Holgersons ist der Vater alleiniger Herrscher, hier gilt nur sein Wort.
    So handelte er dann auch.
    Er sprach mit seinem Freund Vokken, der einen Kaffee-Import betrieb und neben großen Lagerhallen, Brennereien, drei Rennpferden und einer Hochseejacht auch einen Sohn besaß. Dieser junge Mann stand in dem Ruf, ein blendender Tennisspieler zu sein, aber weiter nichts.
    Eines Abends präsentierte Holgerson seiner Tochter den neuen Schwiegersohn. Er tat es in der Art, die in der Familie Tradition war. Er sagte: »Meine liebe Inken, morgen kommt Per Vokken und hält um deine Hand an. Die Hochzeit ist auf den Dreiundzwanzigsten festgesetzt.«
    Inken Holgerson ließ ihren Vater ausreden, denn sie war ein höfliches Kind. Dann strich sie sich die Haare aus der Stirn, lächelte und antwortete: »Wie du wünschst, Papa. Dann notiere aber bitte auch auf deinem Terminkalender, daß am Ersten die Scheidung stattfindet. Ich heirate keinen Tennisschläger, und ich bin sogar, trotz der Holgerson-Erziehung, so modern, mir meinen Mann selbst zu suchen.«
    Es half nichts, daß der alte Holgerson seinerseits die Erziehung vergaß, zunächst seine Tochter anbrüllte und dann eine Fayence mit dem Spazierstock zerschlug. Er erreichte das Gegenteil: Inken verließ das Elternhaus und mietete sich eine Appartementwohnung an der Weser. Obgleich sie genügend Geld hatte, nahm sie in Hamburg eine Stellung an. Als Mannequin. Sie führte Pelze vor. Sie benötigte keine besondere Ausbildung dazu, denn Pelze mit Würde zu tragen, hatte sie schon von Jugend an gelernt.
    Reeder Holgerson resignierte.
    »Sie hat den Holgerson-Kopf!« sagte er, und dabei schwang sogar Stolz in seiner Stimme. »Sie bricht mit ihrem Schädel Wände auf! Soll sie! Nur eins verstehe ich nicht: Warum wartet sie auf diesen Abels?«
    Während Martin Abels irgendwo in der asiatischen Schneewüste in eisiger Ungewißheit dämmerte, schritt Inken Holgerson über den Laufsteg, führte Nerze und Chinchillas vor und schrieb in ihr Tagebuch: »Der 52. Tag ohne Martin. Aber ich liebe ihn immer noch …«
    *
    Der Bauer Chingai-Butu hatte einen schweren Stand.
    Man soll nicht anfangen, mit Frauen zu streiten, denn ihre Ausdauer ist größer als die des Adlers, sagt ein mongolisches Sprichwort. Chingai-Butu hatte diese Weisheit außer acht gelassen, als er in heller Vorfreude über das Köpfen sofort nach der Rückkehr in seine Jurte wieder hinauswollte, um seinen Fund an den Dorfältesten zu melden. Und an die Soldaten, die in einem Lager an der Grenze wohnten.
    Zuerst war es Burkja,

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