Ein Mädchen aus Torusk
wusch und die Brust rieb.
»Das ist ein merkwürdiger Fall«, sagte Chingai-Butu, der Bauer. »Man sollte zurückfahren und sehen, was daraus wird. Wir können doch nicht mit ihm nach Banga kommen.«
»Es wird das beste sein, Väterchen.« Burkja deckte Martin Abels wieder zu. »Onkel Churu kann etwas Russisch – vielleicht ist er ein Russe?«
»Dann ist er ein Spion und wird gehängt!« sagte Chingai-Butu dumpf. »Aber wie's auch ist – wir fahren zurück.«
Sie ließen den Ochsenkarren drehen und schepperten den Weg zurück zum Dorf.
Nach vier Stunden kamen sie aus dem Gebirge und in eine trostlose steppenähnliche Ebene. In der Ferne erhoben sich Lößhügel, terrassenförmig eingeschnitten, wie Treppen, die in den Himmel führen.
Burkja saß jetzt neben dem Vater auf dem Bock, der langhörnige Ochse hatte den Kopf gesenkt und stampfte mit dicken Beinen durch den Staub der Straße. Die Geier waren mitgezogen. Kreischend umkreisten sie das Fahrzeug, stießen herunter und rissen die gebogenen, messerscharfen Schnäbel auf.
Chingai-Butu kümmerte das wenig. Geier greifen keine Lebenden an. Außerdem war er tief in Gedanken versunken.
Was macht ein Weißer in den Schara-Bergen? Und dann noch allein? Es gab gar keine andere Lösung dieses Rätsels: Er war ein Spion.
Bei diesem Gedanken wurde der Bauer Chingai-Butu munter wie ein geschorenes Lamm. Das gibt eine Hinrichtung, dachte er zufrieden. Das gibt entweder ein Aufhängen, oder der riesige Lubku, der Henker aus Muktur, haut ihm mit seinem langen, doppelschneidigen Schwert den Kopf ab. Dann wird das Haupt aufgespießt und herumgetragen, es gibt Hammelbraten und Reiswein, und die Reiter zeigen ihre Kunststückchen. Ein Volksfest wird es werden. Hoiho! Wie lange hat es keine Hinrichtung mehr gegeben? Laß mich rechnen – vor drei Jahren war es das letztemal. Damals ergriffen sie einen Mörder und hängten ihn auf. Ein rechtes Schwein war das. Als ihm das Genick knackte, machte er in die Hose.
Aber hier haben wir einen Spion! Das ist etwas Besseres. Man wird ihn enthaupten. Es wird ein großer Tag werden!
Und Chingai-Butu begann vor Freude zu singen.
*
Die U-2, der Fernaufklärer der US Air Force, kreiste über dem Bering-Meer. Er hatte per Funk die Order bekommen, den Kurs zu ändern. Abhörstationen hatten sowjetische Anweisungen aufgefangen, die bewiesen, daß man die U-2 im Radarschirm hatte und abschießen würde, falls sie sowjetisches Gebiet überflog.
Betty Cormick schlief noch immer. Sie hatte viel Schlaf nachzuholen und viel vorzuschlafen. Mit dem Abstoßen aus dem Flugzeug ließ sie die Welt hinter sich. Niemand konnte ihr dann mehr helfen … als Amalja Semperowa würde sie irgendwo in Sibirien weiterleben, bis es anderen Agenten gelang, sie über die iranische Grenze wieder in die Freiheit abzuschieben. Wie lange das dauern würde? Wer wußte es.
Die einsame Maschine am Nachthimmel, 12.000 Meter über der Erde, kreiste eine halbe Stunde über dem Meer, dann flog sie weiter, in einem weiten Bogen nach der Insel Sachalin und von dort hinein in das sibirische Rußland. Sie war den russischen Radarstrahlen entglitten. Fluchend tasteten die Spezialisten den Himmel ab und griffen immer mehr ins Leere.
»Eine Sauerei, Genossen!« brüllte Luftgeneral Michailowitsch. »Jetzt setzen sie den Agenten ab, vor unserer Nase, und wir sitzen herum wie die Bettnässer! Man soll es nicht für möglich halten, welche Idioten in der Luftwaffe sind!«
Die U-2 kreiste lautlos über dem Gebiet des Stanowoj-Gebirges. Weiter ins Hinterland konnte sie nicht mehr, der Aufenthalt über dem Bering-Meer hatte zuviel Sprit verbraucht. Betty Cormick stand absprungbereit an der Tür und studierte noch einmal die Karte. Unter ihr lag das Tal des Flusses Gonam. Es gab keine andere Wahl, als abzuspringen. Über 1.000 Kilometer trennten sie von den Orten ihres Einsatzes. Die mußte sie zu Fuß oder sonstwie überbrücken.
»Alles klar?« fragte der junge Leutnant, der hinter ihr stand.
»Okay, Leutnant.« Betty steckte die Karte in die Kombination.
»Wir gehen auf Sprunghöhe!«
Die U-2 kippte ab, die Motoren schwiegen. Im Gleitflug schraubte sie sich in die Tiefe.
»Kopf hoch!« sagte der Leutnant.
Betty Cormick lachte ihn an. »Ich war noch nie so ruhig wie jetzt, Leutnant.« Sie warf den Riegel zurück, die Tür schlug nach innen gegen den Sperrhaken. Mit weiten Augen starrte Betty hinaus. Unter ihr lag in undurchdringlichem Schwarz die Nacht. In diesem Augenblick
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