Ein Mädchen aus Torusk
aufregen! Geben Sie Nachricht, wenn Sie in Tygdinsk sind. Viel Glück. Ende.«
Nebenan schnarchte Smulkow und hatte einen schlechten Traum. Er hielt das Vögelchen Amalja in seinen Armen und schmatzte es ab, und Axinja kam dazu und hieb ihm mit einem Holzscheit über den Kopf. Das schmerzte sehr, er stöhnte im Schlaf, rollte sich auf den Bauch und grunzte dann zufrieden.
Am Morgen mußten sie sich ausschaufeln. Der Schnee stand wie eine Wand vor der Tür. Auch die anderen Häuser waren nur noch qualmende Schneehügel. Aber die Sonne schien, der Himmel war blau, es war ein herrlicher Tag.
Jetzt hätten wir eigentlich Zeit, uns um das Bahnprojekt zu kümmern, dachte Smulkow. Wenn es richtig friert, hindert uns nichts mehr, nach Tygdinsk zu fahren und die Genossen von der Bauleitung zu fragen: »Brüderchen, wie ist das? Macht es wirklich so viel aus, einen Knick von hundert Werst nach Norden zu bauen. Bedenken Sie, im Sommer haben wir sogar einen kleinen See, wo man baden kann. Ein Badehaus werden wir errichten, Genossen, mit Damenbedienung! Na, ist das nichts? Da läuft einem das Wässerchen im Mund zusammen! Wer kann Ihnen soviel bieten außer Nagornoje?! Da lohnen sich die hundert Werst Umweg.«
Ja, das wollte er sagen. Und sieben Kinder hatten die Vermessungsingenieure hinterlassen. Wenn das kein Beweis von Gebefreudigkeit ist.
»Noch acht Tage Frost, dann fahren wir mit dem Schlitten nach Tygdinsk! Fährst du mit, Täubchen?« sagte Smulkow laut.
In Amalja Semperowa war es wie Tauwetter. Ihr schönes schmales Gesichtchen glänzte. O Maria, dachte Smulkow. Man müßte jünger sein und keine Axinja haben. Sein Herz zuckte. Etwas von seinem nächtlichen Traum war in ihm übriggeblieben.
»Aber ja, wenn ich darf, Väterchen.« Amalja rieb sich die schönen schlanken Hände. »Meine Tante lebt doch dort.«
»Die Tante.« Smulkow nickte entzückt. »Aber nenn mich nicht Väterchen. Ich bin erst sechsundvierzig! Sag Ippolit zu mir.«
»Ippolitschi –«, sagte Amalja. Oh, sie war ein Biest!
Und in Smulkow begann die Sonne zu brennen, bis hinunter zum kleinen Zehchen.
Gott schenke einen langen Winter, betete er stumm.
*
Eines Abends fand Inken Holgerson, als sie aus dem Pelzsalon nach Hause kam und – müde von den Vorführungen – sich nach einer Tasse Tee mit Kandiszucker und Schmand sehnte, einen Brief im Briefkasten ihrer Wohnungstür.
Ein amtliches Schreiben. Absender war der Polizeipräsident. Kommissariat IIa. Kriminalrat Bergmann. Fräulein Inken Holgerson wurde gebeten, zwecks einer Vernehmung bis zum 15. des Monats auf Zimmer 50 zu kommen.
Inken nahm sich am nächsten Morgen telefonisch frei und fuhr zum Präsidium. Kriminalrat Bergmann war ein jovialer, älterer Herr, der erst in einem Aktenberg suchen mußte, ehe er sagen konnte, worum es sich überhaupt handelte. Aber dann, nach einem kurzen Überfliegen des obersten Briefes in dem Schnellhefter, wurde er ernst und kratzte sich die Nasenwurzel, als jucke es ihn dort.
»Eine dumme Sache, Fräulein Holgerson«, sagte er. »Ich kenne Ihren Herrn Papa, wer kennt ihn nicht auch in Hamburg, aber ich kenne ihn noch als Schuljunge. Wir haben einmal zwei Jahre nebeneinander die Schulbank gedrückt, auf dem Gymnasium. Dann kam ich weg, zum neusprachlichen Zweig. Ich vertrug Latein und Griechisch nicht.« Er lachte etwas gezwungen und klappte den Aktendeckel zu. »Ich hätte mich gern mit Ihrem Papa in Verbindung gesetzt, aber das darf ich nicht.«
»Habe ich silberne Löffel gestohlen?« fragte Inken Holgerson sarkastisch. »Ich schwöre Ihnen, Herr Kriminalrat – es muß kleptomanisch sein. Man sagt, eine Urtante litt an dieser Krankheit. Wenn man bedenkt, daß sich so etwas bis ins fünfte Glied vererben kann, nach dem Mendelschen Gesetz …«
Kriminalrat Bergmann lächelte säuerlich. »Es ist gut, daß Sie es so humorvoll sehen, Fräulein Holgerson. Die Sache ist in Wahrheit schlimmer. Silberne Löffel bei Ihnen beachte ich gar nicht – aber hier kommt die Sache aus Bonn, genauer aus Köln! Sie ist politisch.«
»Politisch?« Inken Holgerson hob die nachgezogenen Augenbrauen. »Ich habe mit der Politik keine andere Verbindung als über die Partys, die mein Vater gibt, um Staatsaufträge zu bekommen.«
Das war giftig, Kriminalrat Bergmann überhörte es höflich und kratzte sich wieder die Nasenwurzel.
»Sie kennen einen Martin Abels –«
Inken nickte. Martin. Ihr Herzschlag setzte für einen Moment aus, sie sah sich nach einem Stuhl um,
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