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Ein Mädchen aus Torusk

Ein Mädchen aus Torusk

Titel: Ein Mädchen aus Torusk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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werden die Anforderungsscheine geprüft, nach einiger Zeit auch genehmigt, und dann bekommen wir die Transportpapiere, beladen die Wagen und schaffen das Holz nach Norden zurück, wo man es zum Bau braucht. Ist das klar? Das ist alles Planwirtschaft!«
    »Imponierend, Genosse!«
    Der Vorarbeiter stockte einen Augenblick, sah Abels verblüfft an, nahm dann seine Kreide und lief weiter an den Waggons entlang. Kreuz – Kreuz – Kreuz – Man soll sich mit einem dummen Menschen nicht länger aufhalten als unbedingt nötig.
    Für Martin Abels aber stand es fest, daß er mit diesem Zug, und mit keinem anderen, den Weg nach Norden fortsetzen würde.
    Geduckt schlich er die lange Wagenreihe entlang, wartete, bis eine Kolonne junger Mädchen in dicken Wattejacken jenseits der Wagen auf dem anderen Gleis vorbeigezogen war, rannte dann weiter, erspähte ein Bremserhäuschen und kletterte, nach einigen Blicken nach allen Seiten, mit zwei Schwüngen hinein.
    Hier blieb er, bis die Nacht kam. Er sah durch die vereiste Scheibe Lichtschein, hörte Stimmen, jemand blieb vor seinem Wagen stehen, genau vor dem Bremserhäuschen, und zündete sich eine Pfeife an. Er hörte es an dem Schmatzen, mit dem der Mann Feuer zog.
    Abels hatte sich an die Rückwand gepreßt und wartete. Wenn der Mann jetzt in das Häuschen stieg, gab es nur den Tod. Wer es auch sein mochte … er würde Alarm schlagen. Schon aus Schreck darüber, daß jemand bereits dort saß, wo er selbst hin wollte.
    Es wird das erstemal sein, daß ich einen Menschen mit meinen Fingern töte, dachte Abels. Er umklammerte den Griff seines Dolches und lauschte. Er wußte nicht, ob er wirklich zustoßen, wirklich die Hemmungen überwinden und in den Körper eines Menschen hineinstechen würde wie vor kurzem in die haarige Brust des Bären.
    Laß ihn nicht kommen, betete er und spürte ein Flimmern in allen Nerven. Laß ihn nicht die beiden steilen Stufen hinaufkommen in das Bremserhäuschen.
    Der Mann stand noch immer vor dem Wagen. »In Ordnung!« rief er, und Abels zuckte zusammen, als habe er ihm ins Ohr geschrien. »Dawai!«
    Zwei, drei Erschütterungen, Eisen knallte auf Eisen. Man koppelte andere Wagen an. Dann war es wieder still. Abels hauchte gegen die kleine Scheibe und sah hinaus.
    Unter ihm, dick vermummt in einen Pelzmantel, stand noch immer der Mann und rauchte seine Pfeife. Er wartete. Es war offensichtlich, daß er zum Bremserhäuschen gehörte. Schon seine Vermummung wies darauf hin. Wer bis Tygdinsk in einer engen hölzernen Kammer sitzen muß, durchgerüttelt und vom Eiswind umheult, muß sich warm anziehen.
    Martin Abels drückte den langen, gekrümmten Mongolendolch an seine Brust. Ihm wurde übel, wenn er daran dachte, wie der Mann dort unten wenig später in den Schnee fallen würde, mit weiten, ungläubigen Augen, in denen stand: »Warum tötest du mich, Brüderchen? Was habe ich dir getan?«
    Irgendwo, weit vorn, pfiff eine Lokomotive. Der Mann unten vor dem Bremserhäuschen antwortete mit einer hellen Pfeife.
    Die Fahrt begann.
    Martin Abels preßte sich gegen die Rückwand und schob den Arm zurück, um zuzustoßen.
    Langsam, ganz langsam fuhr der Zug an. Es knirschte unter den Rädern, das Eis auf den Schienen wurde zermalmt, die Achsen kreischten, und durch das Bremserhäuschen ging ein Rütteln und Stöhnen des Holzes.
    Der Mann war auf die untere Stufe der Treppe gesprungen, hielt sich an einem der eisernen Griffe fest und pfiff noch ein paarmal mit seiner grellen Pfeife.
    Dann krachte es wieder, die Erschütterung des Zusammenpralls mit anderen Wagen zitterte durch alle Waggons, Martin Abels drückte sich an die Wand seines Versteckes, immer die schmale Tür vor den Augen. Wenn sie aufgerissen wurde, war das gleichbedeutend mit dem Ende oder dem Fortbestand seines Lebens.
    Und dann geschah es. Der Griff bewegte sich nach unten, die Tür ging auf, wurde vom Fahrtwind erfaßt, schlug dröhnend gegen die Halterung. Und schon tauchte von der Seite der Mann auf. Er stand auf dem obersten Trittbrett, machte noch einen Schritt … und sah Martin Abels.
    Seine Verblüffung war so vollkommen, daß er auch nicht den Bruchteil einer Sekunde an Gegenwehr dachte. Seine einzige Reaktion war ein Schrei: »Halt … Nein!«
    Er rief es auf deutsch!
    Martin Abels glaubte nicht recht zu hören. Entgeistert sah er sein zitterndes Gegenüber an. Dann packte er den Mann mit der Linken blitzschnell am Kragen, noch immer den Dolch in der rechten Hand.
    »Nein, nein,

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