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Ein Mädchen aus Torusk

Ein Mädchen aus Torusk

Titel: Ein Mädchen aus Torusk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Stirn in tiefe Falten wie ein nachdenklicher Dackel. Seine Finger fuhren über die Zahlenkolonnen, er räusperte sich und rülpste leise, denn der Speck war fett gewesen und schwamm nun in seinem Magen im Wodka. Fett und Alkohol gibt Seife; es war also ein unangenehmes Aufstoßen.
    »Die Sache muß ich nach Ulan-Bator geben«, sagte Duganoff ernst. »Wenn wir uns blamieren, Freundchen …«
    »Wir werden es nicht, Genosse. Man wird begeistert sein.«
    »Dann pack es ein und kleb es zu.« Duganoff ging zu seinem Ofen zurück und trank wieder Tee. Dieser Speck, dachte er. Dieser Sauspeck! Der ganze Abend ist verdorben.
    »Du kannst bleiben, Nikolai«, sagte er. »In der Baracke, hinter dem Archiv, ist noch ein Zimmer. Du bist zu meiner alleinigen Verfügung, verstehst du! Keiner hat dir etwas zu sagen. Und wer dich fragt, dem antwortest du: Kümmere dich um deine eigene Hose! Meine ist zu! – Verstanden?«
    »Ganz genau, Genosse Oberingenieur.«
    So begann die Freundschaft zwischen Abels und Duganoff. Sie war allerdings in der Arbeit einseitig. Abels zeichnete, und Duganoff soff und hurte. Aber er ließ sich auch nicht lumpen. Er zahlte Abels für die Woche 50 Rubel! Bei freiem Essen und freiem Wohnen. Man kann nichts dagegen sagen. Es war anständig von Michail Jefimowitsch.
    In der Frühe kam dann der Alarm wegen des verschwundenen Unterleutnants. Duganoff stellte Abels sofort eine Bescheinigung auf den Namen Nikolai Stepanowitsch Arkadjef aus, damit er trotz des Ausnahmezustandes in Tygdinsk und der Umgebung herumlaufen konnte.
    Schon nach drei Tagen wurde Abels nicht mehr kontrolliert. »Da kommt ja der Arkadjef!« hieß es, wenn er in die Berge zog, auf der Schulter den Holzkasten mit dem Theodoliten, dem Winkelmeßgerät. Daran erkannte er, wie wertvoll die Bescheinigung Duganoffs war. Er hatte einen Ausweis, der ihm alle Sperren öffnete. Durch Zufall nur hatte er einen Zipfel des Glückes ergriffen.
    Etwa eine Woche nach dem Verschwinden des Unterleutnants – er wurde trotz umfangreicher Suchaktionen nicht gefunden – tappte Abels auf seinen breiten Schneeschuhen durch das Stanowoj-Gebirge. Nach den Plänen, die Duganoff ihm gegeben hatte, sollte von Solotinka eine elektrische Leitung an Hochmasten nach Tygdinsk gelegt werden, als zusätzliche Energie für den Bahnknotenpunkt. Nun ging er die Strecke ab, wo man die Masten setzen wollte, und erkannte schon nach einigen Messungen, daß dies sinnlos war, weil die Höhenunterschiede zu schnell wechselten. Es war sinnvoller, die Leitungen durch ein Tal zu legen, das zwar eng und wild bewachsen war, das aber in gerade Richtung die Berge durchschnitt und sonst zu nichts anderem zu verwenden war.
    Er baute seine Geräte also auf einer kleinen Anhöhe auf, berechnete die Spannhöhe und ruhte sich dann aus, indem er sich auf die Kiste des Theodoliten setzte, sein Stück Schinken und einen Kanten Brot auspackte und den Verschluß von der fellumspannten Feldflasche schraubte. Der heiße Tee, mit Schnaps vermischt, tat Wunder, er durchwärmte den etwas klammen Körper und machte die wilde Gegend freundlicher.
    Gerade als Abels trinken wollte, bemerkte er unter sich in den verfilzten Büschen eine Bewegung. Leise stellte er die Feldflasche neben den Holzkasten, legte die Hände auf die Knie und wartete. Er war unbewaffnet, und er dachte jetzt mit einem unangenehmen Gefühl daran, daß es ein Wolf sein könnte oder wieder ein Bär. Der Winter war plötzlich und mit ganzer Grausamkeit eingefallen, und die Tiere hatten Hunger und verloren die Scheu vor den Menschen. Ein Wolf im Sommer ist fast harmlos wie ein Hündchen. Aber im Winter wird er der blutgierige Mörder, der graue Würger.
    In den Büschen rauschte es. Schnee fiel von den Zweigen, Äste knackten. Dann trat eine Gestalt aus der Wildnis, eine schwankende, kaum noch zum Gehen fähige menschliche Gestalt. Sie blieb stehen, starrte zu dem einsamen Mann auf der Anhöhe empor, hob die Arme und ließ sie dann schlaff an den Körper zurückfallen. Lange schwarze Haare fielen über die Steppjacke, das Gesicht war mit Eis überkrustet. Noch ein paar Schritte machte sie, dann sank sie in die Knie und senkte den Kopf in ohnmächtiger Ergebenheit.
    Abels sprang auf. Eine Frau! Eine zu Tode erschöpfte Frau, die aus der Wildnis der Stanowoj-Berge kommt. Das war so völlig absurd, daß er einen Augenblick verharrte und sie noch einmal musterte. Dann aber lief er den Hang hinunter, rutschte einen Teil auf dem Hosenboden, die

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