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Ein Mädchen aus Torusk

Ein Mädchen aus Torusk

Titel: Ein Mädchen aus Torusk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Spiegel gedreht und gesagt hatte: »Wenn ich einmal groß bin, gehe ich nach Hollywood. Ich weiß, daß ich dann hübsch sein werde.« Sie war nicht nach Hollywood gekommen. Sie stand in einem sibirischen Gebirge und starrte einem Toten nach. Welch ein Weg bis dahin. Dachte sie daran? Wer weiß es?
    Nach einigen Minuten nahm sie das Pferd wieder am Zügel und ging weiter in die Einsamkeit hinein.
    Von dem Pferd werde ich ein paar Wochen leben können, dachte sie. Jeden Tag ein halbes Pfund, mehr brauche ich nicht. Sie hatte gelernt, in den Rocky Mountains, acht Tage ohne Nahrung zu sein. Es ist gar nicht so schlimm. Nur die ersten drei Tage sind schrecklich, dann hat man sich daran gewöhnt, der Körper hat sich umgestellt und zehrt sich selber auf.
    Am Morgen gab es in Tygdinsk gleich zwei Sensationen. Eine heimliche, sie kam von Smulkow. Er raste in Unterhosen und Unterhemd in seinem Zimmer herum, fluchte auf Gott, der ihn verlassen habe, und verdammte alle Weiber, schon im Mutterleib. Dann ließ er sich neue Kleidung besorgen und nannte sich einen riesigen Idioten.
    Anders war es bei der 2. Kompanie des Ausbildungsregiments V. Hier gab es Alarm, eine Meldung nach Jakutsk und eine große Suchaktion, die erfolglos verlief. Der Unterleutnant Milowitz blieb verschollen. Man fand nur seine Skier auf der Straße und einen Blutfleck, so groß wie ein Kopekenstück. Aber das genügte zur Rekonstruktion.
    Über das Gebiet von Tygdinsk wurde der Ausnahmezustand verhängt. Der Weg nach Norden war geschlossen. Amalja Semperowa saß in einer riesigen Falle.
    *
    Es gehört zu den edlen Eigenschaften des Menschen, verzeihen und vergessen zu können. Zwar können das nur wenige, aber wer die Kunst beherrscht, sich selbst an die Zügel zu nehmen und Vernunft zuzusprechen, der hat einen großen Schritt zur wahren Menschlichkeit getan.
    Der Reeder Holgerson, so polternd und manchmal unausstehlich er war, gehörte zu den Menschen mit der seltenen Gabe, nicht nachtragend zu sein, wenn es darum ging, durch Verzeihen bessere Lebensbedingungen zu schaffen. So war er auch nicht abgeneigt, der Bitte seiner Tochter Inken nachzukommen, sich in das Rätsel um Martin Abels einzuschalten. »Er ist zwar ein verrückter Hund!« sagte er im Familienkreis. »Aber man soll bedenken, daß er Charakter hat, wenn auch für unsere Familie am falschen Platze. Ich halte nämlich wenig von dem Verdacht, daß er für den Start nach Rußland irgendeinen anderen Grund hatte, als dieses Mädchen Anuschka zu suchen. Es ist Aufgabe der Beamten in Köln, immer mißtrauisch zu sein, dafür sind sie vom Verfassungsschutz – aber Martin Abels ist nie und nimmer mit politischen Absichten losgefahren.«
    Er bekräftigte diese Ansicht durch die Tat. Er beauftragte seinen japanischen Vertreter, Nachforschungen anzustellen. Die Idee Inkens, sofort mit der nächsten Maschine nach Tokio zu fliegen, hielt er für unrentabel und verfrüht. »Man säße doch nur herum und erführe nicht mehr, als unser Herr Bender uns berichten wird. Oder willst du etwa auch in die Mongolei fliegen?«
    »Wenn es sein muß – ja, Paps.«
    Holgerson seufzte und faltete die Hände über dem Bauch.
    »Eigentlich paßtet ihr sehr gut zusammen, du und Abels. Ihr habt die gleiche verrückte Ader, sich an Unmögliches heranzuwagen. Überleg doch mal, Kleines: Du sitzt in Ulan-Ude, besichtigst das Hotelzimmer, aus dem er verschwunden ist – und was weiter? Nichts! Wenn die mongolischen Behörden nicht weiter wissen …«
    »Vielleicht wissen sie mehr, als sie sagen!« rief Inken verzweifelt.
    »Das klingt wieder wie ein handfester Räuberroman!« Holgerson beugte sich über die große Karte, die auf dem Tisch ausgebreitet lag. Mit dem Zeigefinger fuhr er über die Mongolei, hinauf zur russischen Grenze. »Hier kann er rüber sein«, sagte er. »Ich möchte fast schwören, daß er in Rußland ist. An das Verschollensein glaube ich auch nicht.«
    »Für dich steht also fest, daß er lebt!«
    »Natürlich.« Holgerson sagte es energisch, um seine Lüge glaubwürdig klingen zu lassen. In Wahrheit glaubte er nicht daran. Er hatte sich eine andere Situation ausgedacht. Martin Abels hatte versucht, die Grenze nach Rußland zu überschreiten. Dabei wurde er angeschossen und starb an der Verwundung. Um keinerlei Fragen aufkommen zu lassen, erfand man in Ulan-Ude die Geschichte von dem verschollenen Deutschen. So blieb alles offen – und wer fragte in einem Jahr noch nach einem Martin Abels? Dies Inken zu

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