Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein Mädchen aus Torusk

Ein Mädchen aus Torusk

Titel: Ein Mädchen aus Torusk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
Vom Netzwerk:
Schnee frei. »In Ihrem Beruf muß man ja mit gewissen Risiken rechnen, nicht wahr? Wo wollten Sie denn hin, Amalja?«
    »Nach Jakutsk.«
    »Oha!«
    »Was haben Sie?«
    »Ich glaube, wir haben den gleichen Weg.« Abels umhüllte den Theodoliten mit dem Tuch und öffnete die große Holzkiste. »Ich muß noch ein Stückchen weiter nach Norden.«
    »Sie sind auch ein Agent, nicht wahr?«
    »Nein.«
    Abels lächelte und schüttelte langsam den Kopf. »Meine Geschichte ist privat, ganz privat. Für einen Staat würde ich nie einen solchen Weg machen. Hier beginnt Patriotismus zum Verbrechen zu werden.«
    »Sie halten mich für eine Verbrecherin?«
    »Warum tun Sie es, Amalja?«
    »Wegen des Geldes. Ich sage es ganz ehrlich. Mein Vater war Sattelmacher im Westen. Wir lebten besser als die Ratten, aber schlechter als die Schoßhunde. Und dann bekam Mami Krebs. Man sagte es ganz offen: Sie wird sterben, wenn sie nicht operiert und bestrahlt wird. Aber beides kostet Geld, viel Geld. Damals kannte ich einen Leutnant, der bei einer Sondertruppe war. Der nahm mich mit zu seinem Major. Und so wurde ich das, was ich jetzt bin; und Mami ist operiert worden und liegt in der besten Klinik der USA in einem Einzelzimmer und hat die berühmtesten Ärzte um sich.« Sie warf den Kopf in den Nacken und preßte die Lippen zusammen. »So!« sagte sie heiser durch die Zähne. »Und nun nennen Sie mich eine Verbrecherin. Mir ist's egal!«
    »Schon gut, Amalja.« Abels nickte, klopfte ihr auf die Schulter und legte den Theodoliten in den Kasten. »Helfen Sie mir zusammenpacken. Und vergessen wir, was wir sind. Sie sind Amalja, ich bin Nikolai. Dawai! Und versuchen Sie, nicht so deutlich ukrainisch zu sprechen. Seien Sie ein wenig ordinär … jop twoje madj!«
    Sie lachten, und es war wie eine Befreiung. Sie packten die Meßinstrumente zusammen und gingen dann langsam aus den Felsenschluchten hinaus auf die Straße, durch den tiefen Schnee watend, stumm, sich gegenseitig stützend. Was wird Felkanow sagen, dachte Abels. Er wird schreien und betteln und an seine sechs Kinderchen erinnern. Sie hängen mich auf, wenn's herauskommt, wird er wimmern. Was geht es mich an, daß es eine Frau ist? Und ich bin auch kein Deutscher mehr! Ich bin Russe! Ein Musterrusse! Ich heiße Stepan Michailowitsch! Ich will nicht mehr wissen, was hinter mir liegt. Versteck sie meinetwegen im Keller der Verwaltung oder unter deinem Bett. Ich will nichts sehen und wissen … nur laß mich damit in Ruhe.
    So wird er schreien, bestimmt wird er das. Und man kann es ihm nicht übelnehmen. Wer will schon einen Spion beherbergen? Bei dem Gedanken allein stellen sich die Haare aufrecht. Es ist beruhigender, den Teufel ins eigene Bett zu legen, als einen westlichen Spion.
    Amalja Semperowa blieb auf der Straße stehen und sah zu dem kleinen Schlitten und dem Pferdchen hinüber, die unter einem Schneeschutzdach aus Balken standen und warteten.
    »Ihr Fahrzeug, Genosse?« fragte sie.
    »Ja. Steigen Sie ein.«
    »Und die Kontrollen?«
    »Man kennt mich zu gut, um mich anzuhalten.«
    So war es auch. Ungehindert passierten sie die dreifachen Sperren. Die Soldaten winkten ihnen zu und riefen ihnen unflätige Worte nach.
    »Sieh an, der Arkadjef!« schrien sie zum Beispiel. »Was er sich da vermessen hat! Wie lang und wie breit ist es denn, das Täubchen? Wenn du sie hinlegst, paßt sie immer. Haha!«
    Und Amalja streckte die Zunge aus und antwortete mit den frivolen Worten: »Für eure Messungen tauge ich nichts. Ihr habt die falschen Instrumente.«
    Das gab ein Lachen und Rufen und Kreischen, und Abels lenkte seinen Schlitten durch die Soldaten, winkte und grinste und tat so wie ein verliebter Affe, der seine Affin heimfährt.
    Dann waren sie in Tygdinsk, aber sie fuhren nicht durch die Stadt, sondern lenkten den Schlitten zur Bahn. Hier, nahe dem Bahnhof, hielt Abels und gönnte dem Pferdchen eine Schnaufpause. Es nutzte sie aus, prustete und hustete und schnupfte, bis die Nüstern sich mit Reif überzogen und mit hellen, bizarren Eiskristallen. Es waren 26 Grad unter Null, daran sah man es.
    »Sind wir da?« fragte Amalja. »Das ist ja der Bahnhof.«
    »Ich muß fragen, wo er wohnt.«
    »Sie waren noch gar nicht bei ihm?« rief sie entsetzt.
    »Nein. Ich kenne nur seine Adresse.« Abels stieg aus dem Schlitten und gab Amalja die Zügel. »Halten Sie mal fest. Ich erkundige mich. Ich habe ja nie geglaubt, daß ich ihn noch einmal brauche.«
    *
    Die Felkanows bewohnten ein Haus in

Weitere Kostenlose Bücher