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Ein Mädchen aus Torusk

Ein Mädchen aus Torusk

Titel: Ein Mädchen aus Torusk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Zeichenbrett und malte Brücken und Tunneldurchbrüche, Unterführungen, Überführungen, Bahnhöfe und Blockstellen, und er tat es gewissenhaft, malte, wenn er fertig war, eine Nummer an die linke obere Ecke der Planung und legte sie in eine große Mappe. Dort blieb sie liegen, vergilbte und bekam Stockflecke. Denn eine gute Planung, Genossen, braucht viel Zeit. Auch in Rußland! Es geht nicht einfach so, daß jemand sagt: Da kommt eine Eisenbahn hin, und die Gleise laufen von dort nach da. O nein! Was denkt ihr denn?! Ihr kennt die Beamten nicht! In jeder Planung wittern sie eine Lebensbeschäftigung, und so gehen sie sie auch an. Immer langsam, Brüderchen. Man ist erst fünfzig! Mit dreiundsechzig wird man sich in eine kleine Datscha zurückziehen oder in eine Wohnung außerhalb der Stadt. Das sind noch dreizehn Jahre! Ich frage: Was soll ich in diesen dreizehn Jahren an produktiver Arbeit machen?! Aber jetzt haben wir eine Planung! Das ist doch etwas, Genossen! Da muß man sich draufstürzen wie ein Geier auf ein Aas. Eine solche Planung muß eine ganze Behörde ernähren. Eine Bahn vom Baikal-See bis nach Nikolajewsk am Golf von Sachalin und an der Tatarenstraße. Schwindelig wird's einem, Brüderchen, vor diesen ungeheuren Schwierigkeiten.
    Und so hatte Michail Jefimowitsch Duganoff einen ruhigen Posten, zeichnete für seinen Bauabschnitt Brücken und Straßen und Tunnels, berechnete die Durchstiche und die Kubikmeter zu bewegender Erde, war am Abend angeheitert – denn Zeichnen macht durstig – und wurde der Schrecken der Jungfrauen von Tygdinsk, von denen es nach Einzug der Bautrupps nur noch wenige gab.
    Bei ihm meldete sich Martin Abels. Er machte es nach guter, alter russischer Art: Er kam ins Zimmer, stampfte den Schnee von den Stiefeln, grinste, nahm die Mütze vom Schädel und machte eine kleine Verbeugung. »Guten Tag, Genosse Chefingenieur«, sagte er dann. »Ich habe Sie vom Fenster aus beobachtet. Ihr Zeichenbrett steht genau davor, man kann gut lesen, was Sie da malen. Und ich meine, die Berechnung für die Spannweite der Brücke stimmt nicht.«
    Michail Jefimowitsch war sprachlos. Da kommt ein Kerl wie ein Räuber ins Zimmer, stinkt wie ein Murmeltier und sagt: Die Berechnung ist falsch! Soll man das für möglich halten?
    Duganoff stellte seine Tasse mit Tee auf den Ofen zurück, nahm einen dicken Bleistift und warf ihn Abels an den Kopf.
    »Da! Rechne es richtig! Aber wehe, du Hund, wenn du es nicht kannst! Ich zerbreche dir die Knochen!«
    Martin Abels zog seine Jacke aus, stellte sich an das Zeichenbrett und überflog den Plan. Es war eine saubere, korrekte Zeichnung, es gab an ihr nichts auszusetzen. Vier Jahre habe ich nicht mehr am Brett gestanden, dachte er. Damals lebte Onkel Josef noch, der nach Vaters Tod die Abels-Werke leitete. Er hatte darauf bestanden, daß Martin das Ingenieur-Examen nachholte. Wissen hat noch nie geschadet, war seine Hauptredensart. Ein Mensch, der glaubt ausgelernt zu haben, beweist damit, wie dumm er in Wirklichkeit ist.
    »Na?!« brüllte Duganoff, als Abels nicht sofort begann. »Nun rutscht dir das Herz an den Hintern, was?! Ich sage dir, Freundchen, ich stecke deinen dämlichen Kopf in den Schnee, bis aus deinen Zähnen Eisblumen wachsen.«
    Er hatte eine bilderreiche Sprache, der Michail Jefimowitsch, aber er kam auch aus Kasakstan, und dort lieben es die Menschen, besonders plastisch zu sprechen.
    »Bei uns in Kiew baute man schon vor sechs Jahren Brücken mit einer Drahtseilspannung. Diese Bogenbrücken sind veraltet, Genosse Oberingenieur. Eine freihängende Brücke, aufgehängt an einem einzigen Pylon! Sie sind nicht starr, sondern sie schwingen mit.«
    Duganoff staunte und trank noch einen Schluck Tee.
    »Du kommst aus Kiew?«
    »Ja.«
    »Wie heißt du?«
    »Nikolai.«
    »Und du kannst zeichnen und rechnen?«
    »Sie sollten einen Versuch machen, Genosse Oberingenieur.«
    Duganoff machte einen Versuch. Er gab Abels eine lange Rechnung. Eine verteufelte Aufgabe war es, so etwas mit einem trigonometrischen Punkt, eine Landvermessungssache, Teufel, Teufel.
    Abels rechnete bis zum Abend. Er bekam ein gutes Essen und Wodka, Tee und Zigaretten. Dann hatte er die Rechnung fertig und legte sie Duganoff vor. Michail Jefimowitsch betrachtete die Blätter mit den vielen Zahlen und Formeln kritisch und mit vorgewölbter Unterlippe. »Richtig, du Hundesohn?« fragte er.
    »Ja, Genosse Oberingenieur.«
    Duganoff tat, als verstände er etwas davon, und legte seine

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