Ein Mädchen aus Torusk
und Benno Fahrenkrug. Vor ihnen auf dem Tisch lagen einige Röntgenaufnahmen. Sie hatten sie angesehen und dann entsetzt weggelegt. Professor Dahrfeld ging unruhig im Zimmer auf und ab.
»Ich hielt es für meine Pflicht, meine Herren, Sie rückhaltlos darüber zu informieren«, sagte er mit belegter Stimme. »Es hat keinen Sinn, den Kopf wie ein Vogel Strauß in den Sand zu stecken. Vor allem hier, wo der ärztlichen Kunst Grenzen gesetzt sind.«
Holgerson rang die Hände, seine Finger knackten, so fest preßte er sie ineinander.
»Sagen Sie bitte nicht, daß Inken nicht mehr zu heilen ist«, stöhnte er.
Professor Dahrfeld blieb stehen. Er war mit dem Hause Holgerson befreundet, aber das rechtfertigte eher die Wahrheit als eine billige Tröstung.
»Sie haben die Röntgenbilder gesehen, meine Herren«, sagte er. »Ein Nacken- und ein Rückenwirbel sind gebrochen. Fräulein Inken wird überleben, natürlich – aber sie wird von der Gürtellinie ab für immer gelähmt bleiben.«
»Das kann nicht wahr sein!« stöhnte Holgerson. »Das ist auch nicht wahr! Ich wehre mich dagegen, das zu glauben!«
Professor Dahrfeld hob die Schultern. Was sollte man da noch sagen? Trost geben? Was ist ein Wort in dieser Situation? Die Wahrheit ist oft schwer zu glauben … aber man wird sich daran gewöhnen müssen. Benno Fahrenkrug, das sah er, hatte die Lage klarer erkannt und begriffen. Er saß mit weißem Gesicht am Fenster und starrte hinaus in den Klinikgarten. Er schwieg, nur seine Kaumuskeln waren in ständiger Bewegung. Sie zermalmten die Erregung, die in ihm sprühte.
Über der Tür zuckte dreimal mit einem leichten Summerton eine rote Lampe auf. Professor Dahrfeld knöpfte seinen weißen Kittel zu.
»Inken ist aufgewacht. Wollen wir zu ihr gehen, meine Herren!«
Holgerson sprang auf. »Wollen Sie ihr jetzt schon die Wahrheit sagen, Herr Professor?« rief er.
»Nein! Ich werde erklären, daß sie Prellungen im Nacken und Rücken hat und deshalb stillgelegt wurde. Ob sie es allerdings glaubt? Inken ist ein intelligentes Mädchen … sie wird die Wahrheit spätestens dann erfahren, wenn sie versucht, ihre Beine anders zu legen, und merkt, daß die Beine nur mehr Anhängsel ihres Körpers geworden sind.«
»Und da gibt es keine Heilung? Keine Möglichkeiten? Ich setze mein ganzes Vermögen dafür ein!« schrie Holgerson. Professor Dahrfeld hob wieder die Schultern.
»Können Sie ein Wunder kaufen?« fragte er leise.
*
In der Nacht versuchte Amalja Semperowa, wieder mit dem Kontaktmann in Jakutsk in Verbindung zu kommen. Sie rief auf der angegebenen Frequenz immer wieder die Schlüsselworte: » PII an QI … PII an QI …« Schließlich, nach drei Stunden, meldete sich die Gegenseite. Knapp und nüchtern.
»QI! Was ist?«
»Was soll mit mir geschehen?« fragte Amalja. »Ich sitze hier in Tygdinsk und kann nicht weiter. Kommt jemand mich abholen?«
Sie schaltete um. Das helle, ganz weite Ticken war kaum verständlich. Aber aus dem Zirpen las sie heraus, was sie fassungslos werden ließ.
»Hat man Ihnen noch nichts mitgeteilt? Auftrag ist erledigt. Neuer PIII ist unterwegs.«
Amalja schaltete sofort um. »Und ich?« funkte sie nach Jakutsk. »Was geschieht mit mir?«
Die brutale Antwort: »Versuchen Sie, auf eigene Faust zurückzukommen. Hilfe von hier nicht möglich. Sie haben enttäuscht. Ende.«
Amalja Semperowa biß die Lippen zusammen. Sie schaltete wieder auf Sendung und funkte ihre ganze Wut und ihre helle Angst in den Äther. »Ihr könnt mich doch nicht hier in Rußland lassen!« morste sie verzweifelt. »Wo soll ich denn hin? Das ist ja Mord … Mord … Ihr könnt mich doch nicht einfach fallenlassen … Hallo! Hallo! QI! QI! QI!«
Der Kontaktmann in Jakutsk schwieg. Immer und immer wieder funkte Amalja und schrie Hilfe. Bis zum Morgen dauerte es, ehe sie begriff, daß sie für den Auftrag gestorben war. Da ließ sie sich erschöpft ins Stroh zurücksinken, drückte unter den beiden Pferdedecken das kleine Funkgerät an ihre Brust und weinte.
So fand sie Stepan Michailowitsch, als er unruhig vom Ofen kletterte – aber erst, nachdem er sich überzeugt hatte, daß Njuschka wirklich fest schlief – und in den Stall kam. Er setzte sich neben Amalja ins Stroh, und als er sie trösten wollte und die Hand auf ihren Körper legte, fühlte er den harten Gegenstand auf ihrer Brust. Das Funkgerät.
»Was ist?« fragte er leise. Amalja drehte weinend den Kopf zur Seite.
»Es ist vorbei, Stepan«, sagte sie
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