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Ein Mädchen aus Torusk

Ein Mädchen aus Torusk

Titel: Ein Mädchen aus Torusk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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die Genossen vom Geheimdienst. Ich singe ja mit ihnen im Chor. Jeden Sonntag.
    Warum ist die Wolga so rot? Sie ist rot vom Blut der Reaktionäre,
rot vom Blute der Kosaken,
rot vom Blut der Revolution …
    Stepan schluckte. Ein dicker Kloß hüpfte ihm im Hals.
    »Eßt erst«, sagte er rauh. Njuschka kam zurück aus dem Stall. Sie trug einen Eimer mit frischgemolkener Milch und schüttete sie in einen Kessel. Dazu tat sie Mehl, Grütze und einen Klumpen Butter. Das alles verrührte sie zu einem dicken Brei. »Wärmt euch und werdet satt.« Stepan setzte sich auf die Ofenbank und kratzte sich den wolligen Schädel. »Man muß das alles erst durchdenken, Genosse!« Er schielte zu seiner Frau und bemerkte, wie sie verwundert zu ihm hinsah. »Es ist eine große Ehre für uns«, sagte er schnell. »Man muß innerlich damit erst fertig werden.«
    Um das Zögern Stepans zu verstehen, muß man erst seine Lebensgeschichte kennen. Sie kann kurz erzählt werden, denn es ist nicht viel dran, aber sie kann auch ein ganzes Buch werden, wie ja das Leben eines jeden Menschen ein dickes Buch füllt. Seien wir kurz: Der Gefreite und Schuhmacher Stefan Feldmann geriet bei Rshew in sowjetische Gefangenschaft, zu einer Zeit also, in der die Deutschen noch von Schlacht zu Schlacht siegten und ihre Triumphe wegnahmen wie von einem Fließband. Stefan Feldmann aber, von jeher kein guter Uniformträger und von Hause aus kein Nationalsozialist, hörte sich die Reden der in Moskau lebenden Emigranten an, sagte zu allem laut ja und wurde aufgenommen in den Kreis der Antifa. Er bildete in Moskau und später in Swerdlowsk russische Gardetruppen nach preußischem Muster aus und erreichte es, daß man ihm einen Paß auf den Namen Stepan Michailowitsch Felkanow gab und zu ihm sagte: »Karascho! Jetzt bist du ein Sowjet, Genosse!« Bei einem Lehrgang in Alma-Ata lernte er die schöne Njuschka kennen, und als sich das erste Kind ankündigte, heiratete man. Das war 1947, das ganze Land war mitten im Aufbau, überall wurden Hände gebraucht, und plötzlich war Stepan Michailowitsch aus Swerdlowsk verschwunden. Drei Jahre lang lebte er bei einem Onkel Njuschkas auf einer Kolchose als Melker, bis er nach Süden wanderte, in Tschita den todkranken Bruder Njuschkas aufsuchte und bei ihm blieb, bis der Arme an einem Tumor starb. Von ihm erbte er nicht nur das Haus in Tygdinsk, sondern auch dessen Stellung als Bremser und Rangierer. Das war ein begehrter Beruf, man sah viel von der Welt, hörte so manches und konnte – wir haben es schon erfahren – so manches Volksvermögen vor dem Verderb retten.
    Na, ist das nicht eine kurze Geschichte, die ein ganzes Buch füllen könnte, wenn man's ganz genau erzählen würde? Stepan Michailowitsch Felkanow war heute ein glücklicher und zufriedener Mann, saß fest im Sattel, liebte seinen Beruf und achtete die Partei, sang im Chor und übte Rhetorik, hatte vergessen, daß er aus Bückeburg stammte, und fühlte sich ganz als Russe. Wen nimmt es da wunder, daß er von Martin Abels' Besuch nicht hocherfreut war, und noch weniger von dem Gedanken, eine amerikanische Agentin bei sich zu beherbergen? Er sollte von diesen Sorgen bald erlöst werden. Aber wer weiß das im voraus?
    Zunächst aßen sie gemeinsam die Mehlfladen, die Stepan stolz Butterkuchen nannte. Er, Njuschka und die sechs Kinder schmierten sich auch noch Marmelade auf die Fladen, tranken Tee dazu und schmatzten vor Wonne.
    Satt gegessen, stimmte Stepan endlich zu, daß Amalja für diese eine Nacht bei ihnen unterkriechen könnte, allerdings nur im Stall. Man sah es Njuschka an, daß es ihr nicht lieb war, aber Stepan war der Hausherr, und sein Wort galt.
    Bevor Abels zurückging in seine Konstruktionsbaracke, brachte er Amalja noch zu ihrem Lager. Es war eine Strohschütte neben der Kuh mit zwei Wolldecken und einem harten Kissen, das mit getrocknetem Gras gefüllt war. Amalja lachte, warf sich in das Stroh und streckte Arme und Beine von sich.
    »Wärme!« sagte sie dann und schloß die Augen. »Herrliche Wärme. Nikolai, Sie wissen nicht, was das bedeutet. Ich habe gestern noch jede Ratte um ihren warmen Erdbau beneidet.« Sie setzte sich und schlang die Arme um die Knie. »Dieser Stall ist gerade richtig. Ich werde heute nacht versuchen, zum letztenmal Verbindung mit Jakutsk aufzunehmen. Man kann mich doch hier nicht einfach liegenlassen! Schließlich habe ich einen Auftrag.«
    »Sie wollen funken?« Abels sah sich um. Stepan wühlte in der Futterkiste und

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