Ein Mädchen aus Torusk
hörte sie nicht. »Ich bitte Sie, Amalja … bringen Sie die Felkanows nicht in Gefahr.«
»Ich werde es ganz kurz machen.« Amalja zog eine Decke über sich und ließ sich nach hinten ins Stroh sinken. »Morgen wissen wir mehr, Nikolai. Ich danke Ihnen.«
*
Die Verlobung Inken Holgersons mit dem Sohn des Exportkaufmanns Fahrenkrug stand kurz bevor. Benno Fahrenkrug war ein netter junger Mann, nur zwei Jahre älter als Inken, leitete im Hause seines Vaters die englische Exportabteilung und lebte das Dasein des einzigen Sohnes eines ›königlichen Kaufmanns‹, ein Titel, den der alte Fahrenkrug als Ehrennamen ansah und nicht als Abwertung, wie er in den Augen der neuen Generation schien, die boxerisches Können vor Ehrlichkeit setzte.
Der Reeder Holgerson war zufrieden mit seiner Wahl. Vor allem war Benno Fahrenkrug ein Junge, der Inken den Traum von Martin Abels vergessen lassen konnte. Nachdem nun feststand, daß Abels nie wiederkehren würde und die mongolische Weite ihn verschluckt hatte, ließ der Vater ihr noch einige Wochen der stillen Trauer, rührte nicht an ihrem Gedenken und ließ es zu, daß sie allein zum Hafen ging und stundenlang an der Pier stand, von der vor Wochen der japanische Dampfer ›Hukonda‹ abgelegt hatte, mit Martin Abels an Bord.
Dann schien auch diese Periode des stillen Schmerzes überwunden zu sein. Inken tanzte wieder auf den Partys, glänzte mit neuen Kleidern und vor allem mit dem herrlichen neuen Schmuck, den ihr Holgerson geschenkt hatte, und ganz von selbst – durch eine gute Regie – wurden Benno Fahrenkrug und Inken miteinander bekannt und in kurzer Zeit unzertrennlich. So etwas aber bedeutete in der steifen Bremer Gesellschaft, daß ein familiäres Ereignis unmittelbar bevorstand. In den Salons machte man sich schon Gedanken über neue Kleider, die man zur Verlobung und der Hochzeit tragen wollte. Auch über Pelze wurde gesprochen. Nerz war bereits ein Volkskleidungsstück geworden; man war der Exklusivität wegen gezwungen, auf Chinchilla oder Kronenzobel auszuweichen. Wie gut hatten es da die Männer. Sie konnten seit zwanzig Jahren den gleichen Frack tragen. Selbst am Hemdkragen änderte sich nichts.
An einem Sonntag – es war ein trüber Tag, der Himmel hing schneeschwer über dem Land, und jeder wartete darauf, daß er aufbrach und die ersten Flocken den Winter einleiteten – ritten Inken und Benno Fahrenkrug wie jeden Sonntagmorgen aus. Meistens lenkten sie die Pferde hinunter zu den Weserwiesen und zu den noch sumpfigen Marschlanden um Oberneuland. Dort konnten sie die Pferde auslaufen lassen, jagten im Galopp über das flache Land und empfanden das herrliche Glück jedes Reiters, souverän über Tier, Erde und Himmel zu sein. Meistens gewann der Schimmel Inkens das Rennen; wie ein weißer Pfeil flog er über das grüne Land, ja, es schien, als fliege er geradewegs in den Himmel hinein, der in seiner unendlichen Bläue wie greifbar mit der Erde zusammenstieß.
An diesem Sonntag ritten sie am Weserufer entlang, übersprangen einige Staketen und waren stiller als sonst. Wie von selbst fielen die Pferde erst in einen leichten Schritt, schließlich standen sie nebeneinander, sahen über das trübe Flußwasser und zu den Schleppkähnen, die träge zum Hafen glitten.
»Inken?«
Sie drehte den Kopf zu Benno Fahrenkrug und nickte.
»Ja, Benno?«
»Ich muß dich etwas fragen.«
Der junge Mann in seinem schwarzen Reitrock über den hellgrauen Hosen nahm die Mütze ab und reckte den Kopf, als sei es ihm zu heiß geworden und der etwas faulig riechende Wind von der Weser her könne ihm Kühlung bringen.
»Ich weiß, was du fragen willst«, sagte Inken Holgerson leise. »Soll ich es dir sagen?«
»Bitte!«
»Du willst fragen: Liebst du mich wirklich, Inken?«
»Ja –«
Eine Weile lag Schweigen zwischen ihnen. Liebe sollte jauchzend sein, ein glückhaftes Überschäumen der Seele – daß sie hier zwischen Inken und Benno nachdenklich, ja fragend war, damit hatte man sich in den Häusern Holgerson und Fahrenkrug bereits abgefunden.
»Liebe kommt in diesem Falle in der Ehe!« sagte der alte Holgerson bestimmt. »Wir wollen kein Strohfeuer entfachen, sondern eine solide Sache begründen – und die braucht Zeit und Gewöhnung. Himmel, wie viele himmelhochjauchzende Ehen krachen täglich zusammen! Es ist ganz gut, wenn sich die Kinder selbst über alles klarwerden.«
Inken Holgerson hob den Kopf und legte ihre Hand auf den Arm Bennos. »Du liebst mich sehr,
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