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Ein Mädchen aus Torusk

Ein Mädchen aus Torusk

Titel: Ein Mädchen aus Torusk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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sagte er das, und jedes Jahr zweimal sagte Pawel Andrejewitsch Turganow als Sprecher der Torusker: »Genosse Bezirkskommissar – wir wollen alles verdoppeln, sogar das Scheißen! Damit gewinnen wir auch mehr Dünger.«
    Es ist klar, daß Pawel Andrejewitsch nicht sehr beliebt in Schigansk war. Aber was soll's? Für Torusk, dem nach sibirischen Maßstäben großen Dorf zwischen Lena und Lindja, war er der rechte Mann, ein guter Jäger, ein vorzüglicher Fellgerber, ein liebevoller Familienvater und ein aufrechter Kommunist – soweit man das beurteilen konnte und sich nach dem Leninbild richtete, das er im Zimmer neben der Ikone hängen hatte. Beides paßte zwar nicht zueinander, aber wen störte das in Torusk? Moskau war weit. Irkutsk war auch weit. Jakutsk, wo die Bezirksregierung saß, kümmerte sich mehr um die Industrie an der Lena als um die Pelzjägerdörfer in der sibirischen Taiga. Und die Holzschlagkolonnen? Die Eisenbahningenieure? Die Geologen, die herumzogen und maßen und bohrten und die Wälder aus Hubschraubern aufnahmen? Sie waren nette, friedliche Männer, schlugen sogar vor der Ikone das Kreuz und benahmen sich wie gesittete Menschen.
    Im Jahre 1954 wurde Torusk etwas unruhig. Gerüchte schwirrten herum, und Pawel Andrejewitsch saß abends am Ofen, kratzte sich den Kopf, aß schmatzend seine Kascha und berichtete: »Olgaschka, da hört man allerlei aus Taragaisk. Deutsche sollen hierherkommen! Deutsche Verbrecher! Alles zum Tode Verurteilte, die man dann zu lebenslänglicher Arbeit begnadigte. Soldaten, die schuld sind am großen Krieg. Ein kleines Lager wollen sie hier aufbauen, um Holz zu schlagen und mit einer Kleinbahn wegzubringen. Aus dem großen Lager Jakutsk kommen sie, die Deutschen. Nur dreißig Mann, sagen sie. Aber das ist genug. Dreißig Verbrecher bei uns! Man sollte dagegen protestieren.«
    Anuschka saß am gemauerten Herd und briet in einer großen eisernen Pfanne ein Stück Speck. Der Duft zog durch den Raum, und Pawel Andrejewitsch hob witternd wie ein Hund die Nase und schnalzte mit der Zunge.
    »Wirf auch noch ein Eichen hinein, Täubchen!« rief er. »Morgen fahre ich nach Norden. Es soll dort am Tjung fette Biber geben.«
    »Wie sehen die Deutschen aus, Väterchen?« fragte Anuschka. Ihr schmales Gesicht mit den leicht geschlitzten Augen war vom Herdfeuer gerötet, die Haut über den etwas vorstehenden Backenknochen glühte. Sie hatte die schwarzen langen Haare im Nacken mit einem Band zusammengehalten, und ich schwöre es – es waren die schönsten Haare vom Eismeer bis zum Baikalsee. Sie trug ein Kittelkleid, in der Taille zusammengerafft mit einem Hirschledergürtel. Erwachsen war sie schon, das schöne Engelchen. Sie hatte eine feste, runde Brust, geschwungene Schenkel und zart gerundete Hüften. Und schlanke, lange Beine hatte sie, wie ein Reh, nicht solche sichelartige Reiterhaxen, wie sie viele Jakuten haben, weil sie auf struppigen Pferdchen und Mauleseln groß werden und oft auch im Sattel sterben. Nein, Gott hatte an Anuschka ein kleines Wunder vollbracht … er hatte mit der Zunge geschnalzt vor Freude, und siehe da, es wurde etwas Herrliches daraus.
    »Wie sollen sie aussehen, die Deutschen?« murrte Pawel Andrejewitsch. »Wie Verbrecher eben aussehen. Wilde Kerle, mit gefährlichen Augen. Aus dem Weg muß man ihnen gehen, das ist alles. Aber sie werden bewacht, das ist wichtig. Sie kommen in ein Lager mitten im Wald, und rundherum wird man hohe Bretterzäune ziehen und an jeder Ecke einen Wachturm mit Scheinwerfern setzen. Sie bauen schon daran.« Er seufzte und schob seinen Teller mit dem Kaschabrei von sich. »Und nun der Speck, mein Täubchen. Und ein Ei für Väterchen.«
    In diese Welt kam Martin Abels. Fahnenjunker, mit neunzehn Jahren 1945 bei Frankfurt/Oder von den Sowjets überrollt und quer durch Rußland nach Swerdlowsk transportiert, dann weiter nach Nowosibirsk und von dort nach Jakutsk, in Viehwagen, auf Planwagen, zu Fuß, auf großen Schlitten. Er hatte im Bergwerk gearbeitet und beim Straßenbau, in den Sonnenblumenfeldern und im Steinbruch, in einem Rüstungswerk und nun im Wald. Er war jetzt achtundzwanzig Jahre alt, hatte neun Jahre lang Rußland hassen gelernt und den Glauben daran verloren, jemals wieder zurückzukommen nach Bremen. Er war kein Plenny mehr, kein Kriegsgefangener – er war ein verurteilter Kriegsverbrecher, weil er – wie es die Dolmetscherin bei der Urteilsverkündung übersetzte, infolge seiner Tätigkeit in einer

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