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Ein Mädchen aus Torusk

Ein Mädchen aus Torusk

Titel: Ein Mädchen aus Torusk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Andrejewitsch nach diesen geräuschvollen Einleitungen, »daß auch die Gefangenen im Grunde genommen Menschen sind. Arme Menschen sogar. Und die Deutschen, verdammt seien sie, sind eben auch Menschen.« Dann räusperte er sich wieder und ließ die Katze aus dem Sack: »Im übrigen bekommen wir einen neuen Winterstall.«
    »Wir, Väterchen?« rief Anuschka. »Ein richtiger Winterstall, wie ihn Unjeski in Taragaisk hat?!«
    »Ja, man hat es angeordnet. Als Zentralscheune für ganz Torusk. Ein Fortschritt, meine Lieben. Wir werden den Kohl nicht mehr vergraben und im Winter aus der Erde hacken müssen, sondern wir werden jetzt in Riesenfässern den Kohl einsäuern. Ist das ein Fortschritt, was? Und die Deutschen bauen die ganze Anlage.«
    »Die Deutschen –«, sagte Anuschka leise. Pawel Andrejewitsch starrte sein Täubchen an und kratzte sich die Nase.
    »Einer hat sogar ›Mein Herr‹ zu mir gesagt. Seien wir ehrlich, meine Lieben: Auch wenn es Verbrecher sind – sie haben Benehmen! Und das ist etwas wert in Torusk!«
    So begann die große Liebe zwischen Anuschka und Martin Abels. An einem Sommernachmittag, bei einem warmen Wind, der aus der Mongolei kam.
    *
    »Du bist so schön wie die Weite der Lena.«
    »Ich liebe dich.«
    »Ich werde nie weggehen aus diesem Land.«
    »Nein, du mußt immer bei mir bleiben.«
    »Ich fühle mich, als sei ich niemals woanders gewesen, als sei ich hier geboren.«
    »Denkst du noch an Bremen?«
    »Was ist Bremen? Eine Blume, ein Gebirge, ein Stoffgewebe, eine Frucht? Ich weiß gar nicht mehr, was Bremen ist.«
    »Ich bin so glücklich.«
    Sie küßten sich und spürten das Zittern ihrer Körper.
    Am Ufer der Lindja lagen sie, im Gras, umgeben von Schilf und Birken. Sie hatten den Winter überstanden, und manchmal war Martin durch den Schneesturm gekommen, vereist bis zu den Knochen, und Anuschka hatte ihn ins Haus geholt, an den Ofen gesetzt, und Pawel Andrejewitsch hatte ihn aufgetaut mit Tee und Wodka oder mit dem höllischen Knollenschnaps, dem Samachonka, der wie verwässerte Milch aussah und in den Gedärmen brannte wie glühendes Pech.
    Ihre Liebe kannte jeder in Torusk. Und man fand nichts dabei. Selbst Väterchen Turganow hatte sich dem Schicksal ergeben. Was seine Tochter glücklich machte, war auch für ihn das Glück. Und ein Deutscher, das hatte er eingesehen, war nicht das Schlechteste, was man Anuschka gönnen konnte. Nur wenn er an die Zukunft dachte, war Pawel Andrejewitsch unruhig und hilflos. Er hatte schon mit dem Parteimann in Schigansk gesprochen, unter der Hand, von Brüderchen zu Brüderchen, wie man das so tut, und angetastet, ob man nicht ein Gnadengesuch machen solle. Martin Abels wollte dann, wenn er ein Freier wurde, in Rußland bleiben und Anuschka heiraten, in aller Form. Er wollte mit auf die Jagd gehen, Pelze gerben und ein guter Bürger werden. Was wollte man mehr? Und der Bezirkssowjet versprach, in Jakutsk und in Moskau in diesem Sinne vorzutasten. Ganz vorsichtig natürlich, denn die Genossen in der Regierung hatten eine andere Ansicht von den Deutschen als die Jäger in Torusk.
    Hand in Hand kamen sie später aus dem Schilf der Lindja zurück ins Dorf. Ein schönes Paar, dachten sie alle. Man konnte sich noch über das Glück der anderen freuen. 1.000 Rubelchen hat der Alte gespart, flüsterte man. Es soll eine Hochzeit geben, wie sie Sibirien nicht gesehen hat. Wir werden alle besoffen sein, alle, drei Tage lang. Juchhei, Brüderchen! Wenn nur die Politik nicht so blöde wäre …
    *
    Und wieder schneite es. In dicken, flauschigen Flocken. Nachts fror es erbärmlich, und in den Wäldern zerplatzten mit lautem Knall die ersten Stämme. Wie Kanonenschüsse klang es. Der Salut für Väterchen Frost.
    Die Lena fror zu, die Lindja und die Muna. Die Fischer fluchten erbärmlich, denn das alles kam viel zu früh, die Schnüre mit Trockenfisch waren noch nicht voll, und so mußten sie auf das Eis, Löcher hacken und die Fische an langen Netzen oder Angeln aus dem Wasser ziehen.
    An einem dieser Tage wurde Martin Abels als Natschalnik der Waldarbeiter zum Kommandanten des Lagers gerufen. Hauptmann Jossif Nikolajewitsch Samsonow hatte eine gefurchte Stirn und bemühte sich nicht, die Schweißperlen auf seiner Glatze wegzuwischen. Er war ein alter Soldat, viermal verwundet, hatte ein steifes Bein zurückbehalten und war deshalb abgeschoben worden, um in Torusk mit seinen Kolonnen zu kultivieren.
    Er fühlte sich zufrieden mit diesem Kommando, war sein

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