Ein Mädchen aus Torusk
heute so etwas nicht mehr überleben würde!« Er hielt Amalja am Arm fest, als sie an ihm vorbeiging. »Los! Erzählen Sie, was geschehen ist. Wer hat Suskin erschlagen, und gerade vor Ihrer Tür?!«
»Er wollte zu mir ins Zimmer«, sagte Amalja wütend und riß sich los.
»Und?«
»Ich habe die Tür von innen zugehalten und um Hilfe gerufen! Aber der Kerl hatte Bärenkräfte. Er rannte wie ein Rammbock gegen die Türfüllung. Da gab es plötzlich einen dumpfen Schlag, ich hörte etwas auf den Boden fallen. Und dann war Ruhe.«
»In diesem Augenblick hat der Mörder Suskin umgebracht. Und was haben Sie dann getan?«
»Ich bin ins Bett gegangen.«
»Und das soll Ihnen einer glauben?« Abels sprang auf und stellte sich Amalja in den Weg. »Halten Sie mich für einen Blödian? Welche Frau legt sich ruhig ins Bett und schläft selig, wenn sie eben noch um ihre Ehre kämpfte und draußen jemand erschlagen wurde … vor der eigenen Tür …«
»Das wußte ich doch nicht!« schrie Amalja und warf den Kopf zurück, jetzt sieht sie wirklich schön aus, dachte Abels. Marfa hatte recht; sie ist berauschend, wenn man ihre Schönheit einmal erkannt hat. Aber hinter dieser Maske weiblicher Vollkommenheit steckte eine unerbittliche Härte, das gedrillte Produkt des amerikanischen Geheimdienstes. Betty Cormick, die aus der Hüfte schießen kann und Brennesseln aß, als sie in den Rocky Mountains fast verhungerte.
»Warum lügen Sie?« sagte Abels in kalter Brutalität. »Sie haben den Toten gesehen. Sie haben die Tür aufgemacht und den Mörder ins Zimmer gelassen.«
»Verrückt!« Amalja wandte sich ab und trat an den Ofen. Gegen das Licht des Fensters war ihr dünnes Nachthemd wie ein Schleier. Es verbarg nichts. Sie schien es zu wissen, aber sie zierte sich nicht, sondern blieb so gegen das Frühlicht stehen.
»Ich warne Sie, Betty!« sagte Abels heiser. »Ich überlasse Sie Ihrem Schicksal und dränge alle Skrupel in mir zurück! Ich bin in Rußland eingesickert, um Anuschka zu holen, nicht, um durch Ihren Leichtsinn zu verrecken!«
»Anuschka!« Amalja lachte rauh. »Ich habe immer geglaubt, das sei nur ein frommes Märchen von Ihnen! Ich habe Sie immer für einen ganz gerissenen Kollegen der deutschen Konkurrenz gehalten, der unter dem Mantel der Romantik die sowjetischen Raketenabschußbasen ausfindig machen will. Verdammt, ich habe mich getäuscht. Sie sind ein heilloser Idiot, der ein dummes Sibiriakenmädchen sucht! Ich habe Sie höher eingeschätzt, als Sie sind!«
»Das ist Ihre Version meines Lebens. Mich kümmert nur, daß wir hier wieder herauskommen. Wir sind doch in einer Falle! Betty, begreifen Sie doch: Sie haben keinen Paß! Man wird Sie entdecken! Und das bedeutet Tod!«
»Nicht mehr –«
Sie sagte es mit solcher Sicherheit, daß Abels sich wie zurückgestoßen aufs Bett fallen ließ.
»Haben Sie den Verstand verloren?« sagte er leise.
»Nein!« Amalja lächelte mit blendenden Zähnen. »Ich habe lediglich meine Standhaftigkeit verloren. Ich war eine Nacht lang nichts als Frau. Auch das ist etwas wert! Ich habe nichts mehr zu befürchten …«
Abels sah auf seine Hände. »Tasskan –« sagte er stockend.
»Ja.«
»Sie sind seine Geliebte geworden?«
»Ich habe mein Leben gerettet. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, das zu tun. Sie werden weiter durch Frost und Schnee wandern, andere verkriechen sich … ich bin im Besitz der stärksten Münze, mich freizukaufen. Ich breite nur die Arme aus. Es sind billige Opfer, die man abwaschen kann.«
»Betty! Was ist aus ihnen geworden?« sagte Abels erschüttert.
»So war ich immer, mein Freund.« Sie trat aus dem Lichtkreis des Fensters und setzte sich neben Abels auf die Bettkante. »Tasskan kam zu mir und sagte mir auf den Kopf zu: ›Du bist auf der Flucht. Du sprichst nicht wie eine gebürtige Russin. Ich kenne das. Ich kenne vom Beruf her alle Dialekte. Deinen Dialekt gibt es nicht. So spricht nur ein Amerikaner, der sich bemüht, ein Russe zu sein!‹ Genau das sagte er und ich war starr vor Schrecken und Angst. Da habe ich die Wahrheit gesagt und mich freigekauft mit mir selbst. Tasskan wird mich nie ausliefern, und wenn die Polizisten kommen, wird er dafür sorgen, daß man mich nicht fragt.«
»Sie kennen die sowjetische Polizei nicht, Betty.«
»Tasskan ist ein Freund Mikojans und Malinowskijs.«
»Als ob das einen Kommissar kümmern würde!«
»Er hat außer der Polizei auch den Gebietskommissar benachrichtigt, und der ist ein
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