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Ein Mädchen aus Torusk

Ein Mädchen aus Torusk

Titel: Ein Mädchen aus Torusk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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machte eine einladende Handbewegung.
    »Bitte einzusteigen!« Sie sah kurz zurück zu dem Schneefeld, auf dem noch die blutigen Spuren der Wolfsmahlzeit leuchteten. Alle Angst war aus ihren Augen gewichen. Als erste stieg sie in den Schlitten und rückte zur Seite: »Kommen Sie neben mich, Nikolai Stepanowitsch. Amalja und Wassilij nehmen ja doch den Kutschersitz.«
    Sie deckte Abels mit den warmen Fellen zu, und da es eng im Schlitten war, schien es selbstverständlich, daß man zusammenrückte und Körper an Körper preßte.
    Tasskan hüllte Amalja in mehrere Decken, stülpte ihr eine Pelzkapuze über und schwang sich dann auf den Sitz. Er sah gleichfalls zurück zum Wald und zu den Wolfsspuren, aber bei ihm wirkte das Erlebnis noch nach. Es war alles verstaut: die beiden Skipaare, die Tragsäcke, das Gewehr. Das war etwas, was Tasskan zu stillen Überlegungen anregte. Die Ausrüstung seiner Retter ließ darauf schließen, daß sie zu Fuß auf einer Wanderung nach Norden waren. Wer aber geht zu Fuß in diesem Frost nach Sibirien? Nur Jäger und Geologen durchstreifen die Wildnis, und auch sie sind nie allein, sondern bilden Trupps, haben Funkgeräte und werden, wenn sie in den unendlichen Wäldern untergetaucht sind, von Hubschraubern versorgt. O nein, es ist heute nicht mehr so einsam in Sibirien, wie man glaubt. Zwar sind die Wälder noch jungfräulich, aber vom Himmel aus hat man sie längst erobert. Um so mehr fällt es da auf, wenn zwei einsame Menschen auf Skiern durch die Taiga ziehen. Das ist mehr als ungewöhnlich. Das ist verdächtig.
    Tasskan nahm sich vor, jetzt nicht mehr zu fragen. Sie haben mir das Leben gerettet, dachte er. Sie sind meine Gäste. Aber einmal wird der Augenblick kommen, wo ich fragen werde: »Und nun sagt die Wahrheit, Genossen! Was habt ihr verbrochen?«.
    Er schielte zur Seite zu Amalja Semperowa. Sie saß mit geröteten Wangen neben ihm, und ihre Blicke trafen sich, weil auch sie verstohlen zu ihm hinschaute. Da lächelten sie stumm, und Tasskan wurde es warm ums Herz. Verteufelt ist das, empfand er. Sie strömt einen fremden, unwiderstehlichen Zauber aus. Ich werde ihm erliegen, gerade ich, der ich die schönsten Mädchen in Moskau kenne.
    Als sie auf eine schmale Straße kamen, begann Tasskan zu singen. Der Schlitten glitt schwerelos über den festen Schnee, die Beinchen der kleinen, struppigen Pferde trappelten und stampften. Und er sang mit lauter, tiefer, warmer Stimme ein altes kosakisches Volkslied, das die Hirten auf der Steppe sangen, wenn der Abend kam und die Lagerfeuer um die Jurten flackerten.
    Mein Mädchen hat ein buntes Band, heij,
in ihren Locken,
ein Band, das auch mein Herz umschlingt,
denn, großer Mond, ich liebe sie,
mein Mädchen ist die schönste ja,
heij,
im ganzen Land –
    Marfa Umatalskaja legte den schmalen Kopf auf Abels' Schulter. Ein Hauch süßen Rosenparfüms wehte über sein Gesicht.
    »Wassilij Petrowitsch hat sich in Ihre kleine Amalja verliebt«, sagte sie leise.
    Selbst ihr Atem duftet nach Rosen, dachte Abels verwirrt.
    »Glauben Sie?« fragte er unsicher.
    »Er singt sonst nie. Er ist ein stiller Mann, fast zu ernst für seinen Beruf. Er ist immer ganz Würde, immer ganz großer Mann, immer nur der gefeierte Star des Films. Aber nun singt er wie ein Steppenjunge. Das tut ein Mann nur, wenn er verliebt ist und seine Seele in Melodien schwimmt.«
    Wieder wehte ihr Rosenatem über sein Gesicht. Ganz nahe waren ihre schwarzen glänzenden Augen. Ihr Mund ist ja rot, dachte Abels. Ein schöner, geschwungener Mund, dessen Lippen beim Sprechen zittern und über die die Spitze ihrer Zunge gleitet, als müsse sie jedes Wort vorher küssen, ehe es ihre Lippen verläßt.
    »Lieben auch Sie Amalja?« fragte sie plötzlich.
    »Nein! Wie kommen Sie darauf?«
    »Ich dachte nur. Es könnte möglich sein, nicht wahr? Wer mit einem so schönen Mädchen durch die Einsamkeit zieht – Und sie ist schön!«
    Abels hob die Schultern. Er hatte Amalja bis heute noch nie mit den Augen eines Mannes betrachtet, der nach weiblicher Schönheit sucht. Für ihn war sie die Amerikanerin Betty Cormick, die ihr Geheimdienst fallenließ, weil sie versagt hatte. Und nun hatte sie sich wie eine Klette an ihn gehängt und wanderte mit ihm nach Torusk, jenem fernen Ziel hinter Wäldern, Bergen und Flüssen, wo eine Blockhütte am Waldrand lag, in der die Familie Turganow wohnte.
    »Ich weiß es nicht«, sagte er stockend. Marfas Lächeln wurde stärker.
    »Sie haben keinen Blick

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