Ein Mädchen aus Torusk
sagte Abels ehrlich. »Ich bin Nikolai Stepanowitsch Arkadjef. Und das hier ist meine Gefährtin Amalja Semperowa.«
»Es freut mich, Freunde zu sehen und Lebensretter dazu. Ich habe eine Datscha hier in der Nähe. Dreißig Werst nördlich.« Er betrachtete Abels und Amalja und schüttelte den Kopf. Woher kommen sie, dachte er sicherlich. Sie kennen Marfa Umatalskaja nicht, die große Marfa, die ›Künstlerin der Nation‹, die Leninpreisträgerin, deren Filme man in der ganzen Welt bewundert und die wie keine andere eine Katharina die Große oder eine Dunja Puschkins spielen konnte. Und auch der Name Tasskan sagt ihnen nichts. Tasskan, der Regisseur und Drehbuchdichter, der Freund Mikojans und Malinowskijs, der Schüler Eisensteins und Ehrenburgs, dessen Filme ›An der Wolga‹ und ›Wildschwäne‹ die größten Preise gewannen. Sie kennen das alles nicht? Woher kommen sie?
Im Schlitten rührte sich nun auch Marfa Umatalskaja. Sie kletterte aus den Fellen und Decken und kam auf Abels zu. Klein, zierlich, in ihrem Pelzkostüm wie eine Puppe aussehend, mit langen, schwarzen Locken unter der Pelzmütze, einem Gesichtchen wie aus rosig bemaltem Wachs. Mit großen, vom Weinen geröteten, aber brennend schwarzen Augen, stand sie vor Abels und streckte ihm die schmale Hand entgegen, Finger, die so zart waren, daß man fürchtete, sie bei dem leisesten Druck zu zerquetschen.
»Ich danke Ihnen, Nikolai Stepanowitsch«, sagte sie. Sie hatte eine helle, schwingende Stimme, es war, als sänge sie jedes Wort, und jedes Wort gewann dadurch einen Ton, der wie ein Streicheln klang. Martin Abels starrte Marfa verwundert an. Sie sieht Anuschka ähnlich, dachte er plötzlich. Wirklich, sie könnte Anuschka sein … diese Haare, die Augen, die Stimme, dieses Ausströmen von Zuneigung und Begehren.
Er schüttelte den Kopf, um sich von diesem plötzlichen Zauber zu befreien. Marfa Umatalskaja legte den zierlichen Kopf etwas zur Seite.
»Warum schütteln Sie den Kopf, Nikolai Stepanowitsch?«
»Weil ich nicht verstehe, noch nie von Ihnen gehört zu haben, Genossin. Die Frage Wassilij Petrowitschs verblüffte mich. Ehrlich – ich kenne Sie nicht.«
»Ich spiele im Film, weiter nichts.« Ihr Lächeln wurde groß und übergoß ihr Gesicht mit Wärme und innerer Schönheit. Martin Abels sah sie fasziniert an und wurde nur von dem Ausruf Tasskans aus dem Zauber gerissen, der aus den Worten »Welche Schönheit! Welche Schönheit!« bestand.
»Wir drehen auf meiner Datscha einen neuen Film«, sagte Tasskan. Aber er sprach mehr zu Amalja, die er mit der gleichen Verzückung betrachtete wie Abels den Engel Marfa. »Einen Film über den Winter in der Taiga. Auch eine Wolfsjagd soll darin vorkommen –« er lachte bitter – »aber nicht so wie heute. Das stand nicht im Drehbuch, und außerdem ist heute ein drehfreier Tag.« Es sollte sarkastisch klingen, aber das in den Wäldern sich verkriechende Heulen und Bellen der satten Wölfe ließ keinen Humor mehr zu. »Der ganze Aufnahmestab ist auf der Datscha, nur Marfa und ich wollten eine kleine Schlittenpartie machen. Aus Leichtsinn unbewaffnet, denn so nahe habe ich noch keine Wölfe an der Datscha gehabt.«
»Der Winter ist plötzlich gekommen und gleich sehr hart«, sagte Abels. »Sie können wirklich Gott danken, daß wir zufällig am Wald standen.«
»Gott?« Marfa Umatalskaja hob die nachgezogenen Augenbrauen. »Sie sprechen von Gott, Nikolai Stepanowitsch? Hat Gott geschossen, oder waren Sie es?«
Abels erkannte, daß er etwas falsch gemacht hatte. Man muß umdenken, wenn man ein Sowjetrusse sein will, dachte er. Bis jetzt war es gelungen, aber immer wieder fällt man in das Gedankengut des eigenen Wesens zurück.
»Ich habe geschossen«, sagte er gleichgültig. »Aber Gott hat mir das Auge gegeben, gut zu zielen.«
Tasskan, der Regisseur, winkte ab. Er klopfte den noch immer zitternden Gäulen auf den Hals und strich mit den flachen Händen über ihre vereisten Nüstern. »Lassen Sie uns nicht über Gott diskutieren, Freunde!« rief er. »Mit Marfa darüber zu sprechen ist eine aussichtslose Sache! Darf ich Sie einladen auf meine Datscha?«
Wieder sah er Amalja dabei an, und sie war es auch, die nickte und »Ich bin sehr neugierig!« sagte, bevor Martin Abels etwas sagen konnte, was eine Verneinung gewesen wäre. So blieb ihm nichts anderes übrig, als zustimmend zu nicken. Marfa Umatalskaja ging leichtfüßig zum Schlitten zurück, schlug die zerwühlten Decken auf und
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