Ein Mädchen aus Torusk
Ihre Leute?«
»Verschwiegen.«
»Haben sie Sinn für filmische Effekte?«
»Wir gehen gern in ein Filmtheater, Wassilij Petrowitsch.«
»Dann wird man den armen, dicken Suskin mit allen Ehren begraben können –«
Am nächsten Morgen gab es einen neuen Alarm auf der Datscha. Anfim, der Knecht, hatte bei einem Kontrollgang zu einigen Hasenfallen den toten Komiker Suskin gefunden. Er lag mit zerfetztem Schädel am Ausgang des Datschaparkes, und viele Fußspuren und aufgekratzter Schneeboden bewiesen, daß ein wilder Kampf stattgefunden hatte.
Kommissar Alajew, der Protokollarier, der Leutnant, die Polizisten, Tasskan, die ganze Filmgesellschaft lief zum schrecklichen Ort und besichtigte ergriffen den getöteten Suskin.
»Ein Bär!« sagte Alajew laut. »Freunde, das ist ganz klar … ein Bär hat ihn geschlagen! Macht Fotos, schreibt die Protokolle … Suskin, so ein guter Schauspieler, und muß so enden! Es ist ein Jammer!«
Alajew erwies sich als ein glänzender Charakterdarsteller. Er legte eine Erschütterung an den Tag, die so echt wirkte, daß dem Protokollarier die Tränen in die Augenwinkel schossen. Er machte ein neues Protokoll, zerriß das alte von gestern, vernichtete die Filme in der Kamera und nahm den neuen Tatbestand auf. Dann schaffte man den armen Suskin ins Haus, und hier erhielt er endlich seine wirkliche Ruhe, wurde im Pferdestall aufgebahrt, mit Tannengrün bekränzt, sogar vier große Kerzen in silbernen Leuchtern stellte man am Kopf und an den Füßen auf. Es war wirklich sehr feierlich.
»Sie sind ein Genie, Wassilij Petrowitsch«, sagte Kommissar Alajew, bevor er wieder den Hubschrauber bestieg. »Darf ich Sie im Frühjahr zu mir einladen?«
»Im Frühjahr filme ich in der Mandschurei, Genosse. Aber im Sommer bin ich hier. Dann werden wir Rebhühner jagen …«
»Das werden wir!«
Sie schieden wie immer als gute Freunde.
Am nächsten Tag wurde Suskin am Waldrand begraben. Tasskan sprach ergreifende Worte des Abschieds. Er war wirklich ein großer Regisseur …
*
Professor Dahrfeld brauchte die Wahrheit nicht mehr zu sagen. Inken Holgerson hatte ihren Zustand begriffen, noch bevor sie ihren Vater und Benno Fahrenkrug sah und Professor Dahrfeld die fromme Lüge von der Prellung anbringen konnte.
Sie lag steif in ihrem Streckverband und dem Spezialwasserbett und versuchte sogar zu lächeln, als Holgerson als erster in das Krankenzimmer trat, in der Hand einen großen Strauß roter Rosen.
»Mein Kleines«, sagte er und gab sich Mühe, mit der Stimme nicht zu zittern. »So ein dummes Mauseloch! Aber da sieht man wieder, daß keiner so fest im Sattel sitzt, als daß ihn nicht unwichtigste Dinge herausheben könnten.«
Inken gab mit einem Senken der Lider Antwort. Sie sah zur Tür, in der Benno Fahrenkrug erschien, hinter ihm der weiße Kittel Professor Dahrfelds. Eine Prozession zu einer lebenden Leiche, dachte sie bitter. Sie werden sich jetzt überbieten in Lügen und Bagatellisierungen, in Hoffnungssprüchen und ermunternden Reden. Ich werde sie mir nicht anhören, ich werde ihnen sagen, was ich weiß.
»Werde ich für immer gelähmt bleiben?« fragte sie in die Stille hinein, die sich gebildet hatte, weil keiner das erste Wort ergreifen wollte. Professor Dahrfeld hob die Brauen, Holgerson und Fahrenkrug sahen sich schnell an.
»Wer redet denn von Lähmung?« sagte Fahrenkrug burschikos. »In vier Wochen machen wir einen Schneeritt, daß es nur so staubt.«
»Es ist nett, Benno, daß du mir Mut machen willst, aber ich weiß, was mit mir los ist.«
»Und was, meinen Sie, ist los?« fragte Professor Dahrfeld.
»Ich bin gelähmt.«
»Im Augenblick ja! Die Prellungen haben im Rücken …«
»Es sind Wirbel gebrochen, Herr Professor«, unterbrach ihn Inken mit klarer Stimme. »Bitte, sagen Sie die Wahrheit. Ich kann sie ertragen. Ich habe den dicken Schädel der Holgersons, der alle Schicksalsschläge auffängt, ohne vom Stuhl zu fallen.«
»Was du nur redest«, sagte Holgerson heiser. »Inki, das ist doch Dummheit! Und wenn was gebrochen wäre, wir bekommen das schon wieder hin. Der Herr Professor … und dann die Spezialkliniken …«
»Paps, warum lügst auch du?« Sie versuchte den Arm zu heben, um die Hand auf das Knie ihres Vaters zu legen. Nur mühsam bewegte sich der Arm und fiel dann schlaff auf die Bettdecke zurück. »Siehst du … ich bin hilfloser als ein Säugling. Die Beine kann ich überhaupt nicht bewegen, nicht einmal die Zehen. Ich bin nur mehr ein
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