Ein magischer Walzer
habe ich sie mit nach London genommen“, erzählte Sebastian Giles zehn Tage später. Mit dem Kinn deutete er nach oben zur Decke. „Sie schlafen jetzt. Die Reise hat sie ganz schön erschöpft, die armen Kleinen.“ Er war am späten Nachmittag in London angekommen.
Giles hob eine Augenbraue. „Zwei kleine Mädchen um dich zu haben erschwert dein gesellschaftliches Leben, weißt du.“ „Ja, aber was sonst hätte ich tun sollen? Es liegt auf der Hand, dass ich sie nicht allein lassen kann. Dringender als je brauche ich eine Ehefrau, und je länger ich es aufschiebe, desto mehr Schwierigkeiten tun sich auf.“
„Welche Schwierigkeiten? Machen die Mädchen mehr Probleme?“
Sebastian schüttelte den Kopf. „Nein, eigentlich nicht, obwohl ich einräumen muss, dass mir ihre letzte Eskapade ganz schön zugesetzt hat. Aber es geht auch um die Fabrik. Es gibt Sachen, um die ich mich selbst kümmern muss, und in letzter Zeit hat es viele Unruhen in der Gegend gegeben. Bislang ist es mir gelungen, zu verhindern, dass es auch meine Fabriken erreicht - die Lage meiner Arbeiter ist wesentlich besser als die der meisten, und das wissen sie -, aber trotzdem können ein paar Hitzköpfe ...“Er bemerkte Giles’glasig werdenden Blick und sagte: „Ich langweile dich. Jedenfalls muss ich diese Brautwerbung so kurz wie möglich halten, damit ich mich wieder meinem normalen Leben zuwenden kann. Vor einer Stunde habe ich Lady Elinore eine Nachricht geschickt.“
„Also hast du deinen Plan nicht aufgegeben, Lady Elinore den Hof zu machen?“
„Nein, warum sollte ich?“ Sebastian schob den Gedanken an Miss Hope entschlossen beiseite. „Dieser Zwischenfall hat mich mehr als alles darin bestärkt, dass ich eine Frau brauche, die für ihre besonderen Umstände Verständnis hat.“
„Du bist also wild entschlossen, deine eigenen Wünsche als unwichtig..."
„Wir sollten meine Wünsche - was immer du auch meinst, woraus sie bestehen - außen vor lassen, Giles.“
„Nun gut. Deine eigenen Wünsche sind unwichtig, und nur Lady Elinore kann deine Schwestern verstehen, niemand sonst. Wie zum Beispiel Miss Hope.“ Zweifelnd lächelte Giles.
Sebastian runzelte die Stirn. Sein Freund war wie eine Katze, die uninteressiert schien, bis sie ihre Krallen zückte. Mit Nachdruck erklärte er: „Miss Hope ist ein reizendes Mädchen, aber sie hat ein behütetes, privilegiertes Leben geführt. Lady Elinore mag der privilegierten Klasse entstammen, aber sie hat den größten Teil ihres erwachsenen Lebens mit armen Waisenmädchen gearbeitet.“ An dem Ausdruck in seinen Augen konnte er erkennen, dass Giles nicht aufgeben würde, daher wechselte er das Thema. „Danke auch, weil du die Wogen bei ihr geglättet hast. War sie sehr verärgert, dass ich nicht zur Ausfahrt erschienen bin?“
„Nein, nicht sehr.“
„Gut. Dann hast du es ihr erklärt.“
„Ja.“
„Gut. In meiner Nachricht habe ich Lady Elinore für morgen früh zu einer Ausfahrt mit mir und den Mädchen eingeladen.“ Giles hob eine Augenbraue. „Und hat sie die Einladung angenommen?“
Sebastian schüttelte den Kopf. „Noch nicht. Ich habe ihr aber auch erst vor etwa einer Stunde die Nachricht geschickt. Aber ich bin sicher, sie wird es.“
Giles nippte an seinem Portwein und sagte nichts.
„Das hier ist Hyde Park“, erklärte Sebastian, als die offene Kutsche das Tor passierte. „Alle, die etwas sind, gehen hier am Nachmittag spazieren - alle vornehmen Leute. Prächtig gekleidete Damen und bedeutende Herren.“
„Sie sehen nicht prächtig aus, sie sehen dumm aus.“ Mit hängenden Schultern saß Cassie in der Ecke der Kutsche und ließ ihre Füße baumeln, sodass sie immer wieder gegen die Ledersitze trat, während sie den Spaziergängern finstere Blicke zuwarf.
„Das hier ist nicht die richtige Zeit für die Promenade. Jetzt sind nur wenige Leute hier. Am Nachmittag drängen sich hier die elegantesten Menschen der Welt.“
„Ich hasse Menschenansammlungen.“ Cassie war wild entschlossen, nichts zu mögen. Sie hatte nicht nach London kommen wollen. Sie hatte heute Morgen nicht mit der Kutsche fahren wollen. Von London hatte sie genug gesehen.
Es war ein Verhalten, das sich Sebastian sonst von niemandem gefallen lassen würde, aber für den Augenblick hatte er beschlossen, ihre Unhöflichkeit nicht weiter zu beachten. Allmählich begann er, sie zu verstehen. Es war symbolische Unhöflichkeit. Er konnte es nicht ganz genau sagen, aber er hatte das
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