Ein Mann für alle Fälle
angesichts ihrer Naivität nur den Kopf schütteln. „Natürlich würden sie das. Jeder Mensch lügt. Wenn Sie das immer im Kopf behalten, sind Sie schon einen ganzen Schritt weiter.“
Sie sah durch ihre dichten schwarzen Wimpern unter halb gesenkten Augenlidern zu ihm auf und blinzelte. „Das klingt ja wirklich schrecklich zynisch, Mr. Peatwick.“
„So bin ich eben. Und selbst wenn es zynisch sein sollte, heißt das noch lange nicht, dass es nicht stimmt. Ich bin zum Beispiel bereit, fünfzig Dollar zu wetten, dass Sie mich auch schon angelogen haben.“
Diesmal blinzelte sie nicht. „Wie können Sie so etwas sagen?“, fauchte sie empört. „Selbstverständlich habe ich Sie nicht angelogen.“
Mitch grinste unverschämt. „Sie haben es wirklich gut drauf,
Sweetheart
. Im Lügen haben Sie anscheinend Übung, das merke ich allmählich. Aber es wird Ihnen nichts nützen. Hören Sie auf, mich so seelenvoll anzuschauen, die Masche zieht bei mir nicht.“
Nun verengte sie die Augen. Mitch fand, dass ihr auch das recht gut stand. Ein bisschen biestig und gemein vielleicht, aber durchaus wirkungsvoll. „Mr. Peatwick, nehmen Sie den Job nun an oder nicht?“
Wieder lag ihm auf der Zunge, dankend abzulehnen mit der Begründung, dass ihm zum einen ihre Verwandtschaft nicht passte und dass er zum anderen den Verdacht hatte, dass sie das Blaue vom Himmel herunterlog, doch dann entschied er sich anders.
Er seufzte. „Was hat denn Ihr Onkel am Telefon über das Tagebuch gesagt, das Ihren Verdacht erregt hat?“
„Er sagte: ‚Mach dir keine Sorgen, ohne das Tagebuch kommt niemand an mein Geld‘.“
„Und Sie sind sicher, dass das Tagebuch noch da war, bevor er starb?“
„Bestimmt.“ Wieder bedachte sie Mitch mit diesem Unschuldsblick, der ihm signalisierte, dass sie etwas vor ihm verbarg. „Er hat noch am Montagabend am Telefon darüber gesprochen, und später in der Nacht ist er gestorben. Da er gewissenhaft jeden Tag darin aufzeichnete, hatte er bestimmt auch an dem fraglichen Tag bereits seine Eintragungen gemacht.“
Mitch warf seinen Kugelschreiber auf den Schreibtisch. „Also gut. Fünfhundert pro Tag plus Spesen.“
Sie zog die Augenbrauen zusammen. „Lächerlich.“
Mitch zuckte die Schultern. „Das ist mein Tagessatz.“
Missmutig verzog sie das Gesicht, und er lächelte sie ungerührt an. „Okay.“ Sie öffnete ihre Handtasche und kramte ihr Scheckbuch hervor. Er sah ihr zu, wie sie die Summe eintrug und ihre Unterschrift daruntersetzte. Zitterte ihre Hand leicht, oder bildete er sich das nur ein?
Nun riss sie den Scheck heraus und warf ihn auf seinen Schreibtisch. Dreitausendfünfhundert Dollar. Mitch holte tief Luft und setzte ein unbeeindrucktes Gesicht auf. „Das ist für eine Woche. Was ist, wenn ich den Fall heute Abend bereits gelöst habe?“
„Dann geben Sie mir den Rest zurück.“
Diese Möglichkeit erschien ihr offenbar nicht allzu wahrscheinlich. Was ihm nur recht sein konnte, denn er würde den Teufel tun, ihr auch nur einen einzigen Cent von den dreitausendfünfhundert Dollar wieder zurückzuzahlen. Schließlich wollte er seine Wette gewinnen.
Mitch stand auf, ging um den Schreibtisch herum und nahm sein Jackett von der Garderobe. „Okay, dann lassen Sie uns Onkel Gio besuchen.“
Sie holte tief Luft. „Mr. Peatwick, ich habe Sie nur dafür bezahlt, dass Sie das Tagebuch finden.“
„Das werde ich auch, Miss Sullivan, verlassen Sie sich drauf. Sie bekommen von mir genau das, was Sie wollen. Aber erst werden wir Gio Donatello einen Besuch abstatten.“
„Warum denn Onkel Gio? Ich habe Ihnen doch gesagt …“
„Ich muss mit all diesen Leuten reden“, sagte Mitch geduldig. „Und wenn ich dann durch bin mit diesem Pack, ist mir wahrscheinlich schon einiges klarer.“
„Onkel Gio ist kein Pack.“
„Ihr Cousin Carlo hat jemandem den Finger abgeschnitten. Pack ist noch viel zu milde ausgedrückt. Das sind doch Psychopathen.“
Sie rutschte unbehaglich auf ihrem Stuhl herum. „Sie sind nur ein wenig impulsiv.“
„Impulsiv.“ Mitch schnaubte empört. „Wie süß. Also los, lassen Sie uns gehen, aber ich warne Sie - wenn Sie mich nicht vor Ihren mörderischen Verwandten beschützen, verdoppelt sich mein Tagessatz, alles klar?“
Sie warf ihm einen verächtlichen Blick zu, schnappte sich ihre Handtasche und stand auf. „Großartig.“
Mit einem gekonnten Hüftschwung drehte sie sich um und ging vor ihm zur Tür.
Wenn sie bloß den Mund gehalten
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