Ein Mann für alle Sinne - Roberts, N: Mann für alle Sinne
sie kannte ihn inzwischen besser.
Liebenswürdig? Unter der galanten Freundlichkeit lag Stahl, der keinen Millimeter nachgab. Sie hatte es miterlebt, man könnte sogar sagen, sie hatte es am eigenen Leib zu spüren bekommen. Es wäre gelogen, würde sie behaupten, dass sie es nicht bewunderte.
Kooperativ? Auf jeden Fall. Juliet musste ihm zugestehen, dass sie noch nie mit jemandem auf Tour gewesen war, der die Arbeit so bereitwillig und ohne Klagen erledigte. Denn eine Autorentournee war harte Arbeit, so glanzvoll sie auf dem Papier vielleicht auch aussehen mochte. Wenn man erst einmal die zweite Woche ständig unterwegs war, wurde es schwieriger, das Lächeln aufrechtzuerhalten, es sei denn, man hatte sich völlig unter Kontrolle. Carlos Rhythmus blieb ungebrochen.
Charmant? Niemand bezauberte eine Gruppe von Leuten mit mehr Stil als Carlo Franconi. Das allein erleichterte ihr die Arbeit immens. Niemand würde seinen Charme anzweifeln, außer man hatte gesehen, wie kalt seine Augen werden konnten. Sie hatte es erlebt.
Er hat Schwächen und Macken wie jeder andere Mann, dachte Juliet. Wenn sie sich das vor Augen hielt, würde es ihr vielleicht leichter fallen, emotional Distanz zu halten. Bisher hatte es ihr immer geholfen, das Für und Wider einer Situation abzuwägen, auch wenn es sich bei der „Situation“ um einen Mann handelte. Mit Carlo ergab sich allerdings das Problem, dass er trotz aller Fehler und Marotten praktisch unwiderstehlich war.
Sein Ego war mit Sicherheit überdurchschnittlich entwickelt. Das war etwas, das sie, wenn sie klug war, gegen seine grenzenlose Großzügigkeit abwägen sollte. Sein selbstzufriedener Stolz auf sich und sein Werk konnte jederzeit in Arroganz umschlagen. Sie tat sich nur einen Gefallen damit, wenn sie das seiner ungekünstelten Rücksichtnahme für andere gegenüberstellte.
Aber dann war da noch die Art, wie er lächelte, der Ton, in dem er ihren Namen aussprach. Und selbst die praktische und kompetente Juliet Trent hatte Schwierigkeiten, etwas zu finden, was sie diesen winzigen Details entgegenhalten konnte.
Die beiden Tage in Dallas waren so voll mit Terminen, dass Juliet sich mit sechs Stunden Schlaf, der doppelten Dosis Vitaminpillen und literweise Kaffee auf den Beinen hielt. In Dallas holten sie die Flaute von Denver definitiv auf. Juliet spürte den Muskelkater in den Beinen als Beweis.
Vier Minuten in den nationalen Nachrichten, ein Interview mit einer der renommiertesten Zeitschriften des Landes, drei Artikel in den Tageszeitungen von Dallas und zwei Signierstunden, bei denen den Buchhändlern die Bücher aus den Händen gerissen wurden, bis sie komplett ausverkauft waren. Es gab noch mehr, aber mit diesen Punkten würde sie ihren Bericht anfangen. Sie würde in einem wahren Triumphzug nach New York zurückkehren.
An die Dinner mit den Geschäftsführern der Buchhandlungen, die erst um zehn Uhr abends begannen und andauerten, bis sie fast vor Müdigkeit mit dem Gesicht in ihre flambierte Banane fiel, wollte Juliet jetzt lieber nicht denken. Die Lunchtreffen mit Lachshäppchen und Krabbensalat konnte sie schon gar nicht mehr zählen. Sie musste sich neue Aspirintabletten besorgen und ein Mittel gegen Sodbrennen kaufen, aber es war die Sache wert. Sie hätte vor Begeisterung überschäumen müssen.
Tatsächlich aber fühlte sie sich sterbenselend.
Sie würde ihn noch in den Wahnsinn treiben. Immer höflich, dachte Carlo, als sie sich auf den Weg zu einem weiteren Lunch-Interview machten. Und wie höflich sie war. Ihre Mutter hatte ihr zwar nicht das Kochen beigebracht, dafür aber perfekte Manieren.
Soweit er sich erinnern konnte, war er noch niemandem begegnet, gleich ob männlich oder weiblich, der so Skrupel- und makellos kompetent war wie Juliet Trent. Diese Eigenschaft hatte er an einem Begleiter immer bewundert, bei einem Partner bestand er darauf. Juliet war beides. Sie war zudem extrem sorgfältig und genau, arbeitete schnell, blieb in jeder Krise gelassen und schien über unerschöpfliche Energie zu verfügen. Alles bewundernswerte Eigenschaften.
Zum ersten Mal in seinem Leben spielte er tatsächlich mit dem Gedanken, eine Frau zu erwürgen.
Doch sie war auch gleichgültig. Das war es, was er nicht ertragen konnte, womit er nicht fertig wurde. Sie verhielt sich, als gäbe es zwischen ihnen nichts anderes als das nächste Interview, die nächste Fernsehshow, das nächste Flugzeug. Sie tat, als hätte es das Auflodern von Leidenschaft zwischen
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