Ein Mann - Kein Wort
durch starke Gefühle abgelenkt wird. Da jedoch die meisten Untersuchungsteilnehmer unter dem enormen emotionalen Druck stehen, ihren Führerschein wiederbekommen zu wollen, sind sie während des Tests in aller Regel äußerst angespannt. Diejenigen Untersuchungsteilnehmer, denen es
nicht
gelingt, diese Anspannung unterKontrolle zu halten, sprich: sich von ihren Gefühlen nicht allzu sehr beeinflussen zu lassen, laufen Gefahr, in kürzester Zeit Konzentrationsprobleme zu bekommen und damit den Test nicht zu meistern. Dies geschieht leider immer wieder, ja, manche Teilnehmer werden sogar dermaßen von ihren Ängsten, den Test nicht zu bestehen, heimgesucht, dass sie mitten in der Untersuchung alles hinwerfen und wütend bzw. verzweifelt das Weite suchen. 27 Was in dieser Untersuchung verlangt – und in gewisser Weise auch getestet – wird, ist eine Fähigkeit, die grundsätzlich bei jeder Art von Prüfung eingesetzt werden muss, egal ob Abitur, Vorstellungsgespräch, Instrumentalvorspiel, Sportwettkampf usw. Es handelt sich um die Kunst, auch unter Stress, d.h. unter emotionalem Druck hoch konzentriert zu denken oder zu handeln. Das setzt die Fähigkeit der Gefühlskontrolle voraus.
In gewissen Berufen nimmt diese emotionale Selbstkontrolle Dimensionen an, in denen die Grenze zur Gefühls
verdrängung
nicht mehr erkennbar, man könnte auch sagen: fließend ist. Dazu ein Beispiel: In einer gründlichen wissenschaftlichen Untersuchung wurden erfahrene professionelle Fallschirmspringer vor einer Übung gefragt, ob sie nervös wären, sprich: ob sie Angstgefühle empfänden. »Aber nein«, wehrten die Profis einhellig ab, »das ist für uns doch nichts Ungewohntes mehr, sondern Routine. Das gehen wir inzwischen ganz locker und gelassen an!« Daraufhin bat man sie, einige physiologische Messwerte an ihnen ablesen zu dürfen, die das Ausmaß an innerer Erregung anzeigen (beispielsweise der Blutdruck oder die elektrische Leitfähigkeit der Haut, die schon bei minimal steigender Schweißproduktion aufgrund von Stress zunimmt). Die erhobenen Daten zeigten: Die Fallschirmspringer waren entgegen ihren eigenen Aussagen höchst angespannt und ganz und gar nicht gelassen. Dennoch kann man ihnen keinesfalls unterstellen, vorsätzlich die Unwahrheit gesagt zu haben. Denn: Diese Männer hatten gelernt, ihre emotionale Anspannung vollkommen ins Unterbewusstsein zu verdrängen, um sich auf diese Weise optimalauf ihre Aufgabe, nämlich den Sprung aus dem Flugzeug in die Tiefe, konzentrieren zu können. Sie
sagten
nicht nur, dass sie ganz gelassen und emotionslos seien – sie
glaubten es auch, denn ihre Emotionen waren ihnen nicht (mehr) bewusst
.
Solch eine erfolgreiche »Verdrängungsarbeit« setzt allerdings einiges Training voraus. Kommt ein Profi, egal welcher Profession, nämlich in eine auch für ihn gänzlich neue und bisher nicht da gewesene Situation, so gelingt es ihm nicht auf Anhieb, die innere Erregung vollständig zu unterdrücken. Sie steigt infolgedessen in sein Bewusstsein und beeinflusst mehr oder weniger massiv sein Denken und Handeln.
Deutlich zu beobachten war dieser Vorgang in dem von zwei Franzosen zufällig mitgedrehten Film über die New Yorker Feuerwehrleute, die am 11. September 2001 in Manhattan in den brennenden Zwillingstürmen mit schwerster Ausrüstung nach oben gehen und Menschen retten sollten. Ihr Entsetzen, ihre Angst und Unsicherheit angesichts der für sie gänzlich neuen und über alle Maßen schwierigen, nicht einschätzbaren, aber bedrohlichen und schrecklichen Situation waren ihnen allen deutlich ins Gesicht geschrieben. Flackernde und unruhige Blicke, aufgerissene Augen, ein geradezu unheimliches Schweigen und ein fast gelähmt wirkendes Verhalten zeugten von ihrer inneren Hochspannung, aber auch von ihrer Ratlosigkeit. Dennoch gelang es zahlreichen dieser Feuerwehrmänner, ihre Angst effektiv unter Kontrolle zu bekommen und geradezu übermenschlich mutige Leistungen zu vollbringen. Entscheidend dafür war unter anderem wohl auch, dass diejenigen, die die einzelnen Gruppen kommandierten, äußerlich ruhig und gefasst blieben und damit einen beruhigenden Einfluss auf ihre Leute ausübten. 28
Doch nicht nur für unsere männlichen Vorfahren bei Jagd und Kampf, sondern auch für uns gehört es heute in etlichen Berufenzur erforderlichen Professionalität, Gefühle unterdrücken oder verdrängen zu können. Die meisten Menschen denken hier spontan an Feuerwehr, Rettungsdienste und Polizei,
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