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Ein Mann - Kein Wort

Ein Mann - Kein Wort

Titel: Ein Mann - Kein Wort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beate Weingardt
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psychische Folgen. 30
    Oft kann es allerdings auch passieren, dass bei einem anderen, damit keineswegs verbundenen Anlass die verdrängten Gefühle urplötzlich mit aller Macht hervorbrechen – beispielsweise wenn man ein gefühlvolles Lied hört oder eine bewegende Szene in einem Film sieht. 31 Manchmal genügt es auch, dass ein nahestehender Mensch oder eine einfühlsame Person uns unerwartet auf das belastende Ereignis anspricht – und plötzlich brechen die mühsam errichteten Dämme, hinter denen unsere Gefühle aufgestaut waren. Auch ein kleines Detail, das zur ursprünglichen Situation gehörte – beispielsweise ein Geruch oder eine Stimme –, kann, an anderem Ort und zu anderem Anlass auftauchend, in uns mit einem Schlag wieder die gesamte Situation hervorrufen und die entsprechenden Emotionen auslösen.
    Allerdings müssen es keine besonders traumatischen Ereignisse sein, die uns zur Verdrängung zwingen – es genügt, wenn wir in unserem Alltag keine Zeit haben, jene Gefühle, die wir berufsbedingt von Montag bis Freitag verdrängen oder unterdrücken müssen, in der Freizeit in irgendeiner Weise zu verarbeiten. Denn leider lösen sie sich nicht einfach ins Nichts auf, nur weil wir ihnen keine Aufmerksamkeit zollen.
    Wie wichtig »nach Feierabend« dieser emotionale Ausgleich zum Stress des Berufsalltags wäre, macht ein sehr schönes Gedicht von Karl Alfred Wolken deutlich 32 :
    Leichtigkeit gewinnen
    Wenn einer schwer arbeitet, sollte er abends
seine Hände kühlen können in rinnendem Wasser,
sorglos und lächelnd
    seine Müdigkeit vertreiben mit lockeren Gesten,
und sollte, ehe er einschläft, noch Hunger haben auf Gespräche
mit Freunden oder Frauen oder den unsichtbaren Bedrängern
seines Herzens, den Träumen, den unausgesprochenen Worten
.
    Er sollte seine Bitterkeit verlieren
und Leichtigkeit gewinnen im Atem des Abends auf Veranden
und im Dunkel verschwiegener Dielen
.
    So könnte er verwinden den bitteren Satz auf dem Boden
eines jeden Tages
    und seine Trauer verstreun leichtsegelnd wie die Schatten
großer Schiffe in seinem Auge
.
    Leichtigkeit gewinnen – damit ist das Abladen von Lasten verbunden, die sich im Lauf eines Tages, einer Woche in der Seele ansammeln. Geschrieben von einem Mann, nennt der Text mehrere Wege dorthin – die Begegnung mit der Natur, das Erleben der langsam hereinbrechenden Nacht – aber eben auch: das Gespräch. Das Gespräch mit sich selbst, das Gespräch mit dem Lebensgefährten, das Gespräch mit Freunden. Sie alle schließen sich nicht gegenseitig aus, sondern ergänzen sich. Doch wo findet solches Gespräch noch statt, wer nimmt sich die Zeit, wer hat die geeigneten Gesprächspartner dafür?
    Auf viele Menschen wartet zu Hause entweder niemand – oder ein ebenfalls gestresster Partner, den man nicht auch noch mit eigenen »Bitterkeiten« belasten möchte. Es warten nicht selten zahlreiche Pflichten, es warten Haus und Hof, Schriftkram und »Zu-Erle-digendes«, Kinder und – womöglich – pflegebedürftige Eltern. Leichtigkeit gewinnen durch Gespräche – viele Menschen wissen überhaupt nicht mehr, was das heißt und wie das vor sich gehen könnte. Doch was sind die Folgen?
    All die verdrängten Sorgen und Ängste, Frustrationen und Enttäuschungen werden nicht nur in den Feierabend und in die Wochenenden, sondern in jede Art von Freizeitaktivität einschließlich Urlaub mitgenommen. Vor allem diejenigen, die sich vom »Tapetenwechsel« auch eine abrupte Stimmungsverbesserung erhoffen, so als ob sich fern der Heimat die mitgeschleppten Altlasten in Luft auflösen würden, sehen sich häufig bitter enttäuscht – nicht zufällig gibt es gerade im Urlaub oft große Konflikte. Angestautes kommt hoch, Verdrängtes strebt mit Macht an die Oberfläche, Bitterkeit lauert unter der Oberfläche und entlädt sich bei banalsten Anlässen. Und leider gilt: Wer im gemeinsamen Alltag keine Gesprächskultur entwickelt hat, wird sie in den gemeinsamen Urlaubstagen auch nicht plötzlich aus dem Hut zaubern …
    Die Flucht in pausenlose Bewegung, Mobilität und Reizzufuhr, wie sie besonders bei den zunehmend beliebten Städte-, Kurz- und Bildungsreisen zu beobachten ist, hat für mich oft den Charakter einer »Betäubungsmaßnahme« – allerdings mit potenziellem Suchtcharakter, denn die ablenkende Wirkung lässt, kaum wieder daheim, rapide nach.
    Fazit:
 In immer mehr Berufen gehört es zur notwendigen Professionalität, mit einem hohen Maß an emotionalem Druck und

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