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Ein Mann wie ein Erdbeben

Ein Mann wie ein Erdbeben

Titel: Ein Mann wie ein Erdbeben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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sich entschlossen zu haben, ohne seinen Wagen auf Suche zu gehen. Er lief mit zerwühlten Haaren die Straße hinunter, nahe an Tschocky vorbei, gefolgt von Fissani, der in fünf Schritten Abstand hinter ihm blieb.
    Er sieht aus wie ein Mensch, der sich selbst verloren hat, dachte Tschocky. Es war ein ganz nüchterner Gedanke ohne die geringste Spur von Mitleid. Er sucht sich, aber er wird sich nie wiederfinden. Er ist bereits verfault.
    Bob Barreis machte seine erste Station in einem Bistro, das sich ›Chez Papa‹ nannte. Es lag in einer Seitengasse, ein ziemlich dunkles, altes und verräuchertes Lokal, in dem man einen Anis oder einen Calvados trinken konnte, gebrochenes Weißbrot aß, gegen die dreckigen Wände stierte und allein war mit seiner Philosophie. Papa – er hieß Marcel Chabrot – ließ seine Gäste in Ruhe. Bei ihm konnte jeder nach seiner Fasson selig werden, denn alle Menschen haben einen Stich, sagte ›Papa‹, und wer das weiß, tut gut daran, ihn nicht mit Insektensalbe einzureiben.
    Bei ›Papa‹ hoffte Bob einen Hinweis zu bekommen. Es war ein verzweifelter Versuch, in jene Kreise hineinzukommen, die ihm bisher verschlossen waren. Die dunklen Kanäle, die irgendwo im Rätselhaften enden.
    Marcel Chabrot blickte hinter seiner Theke hoch, als die Tür aufflog. Er musterte Bob Barreis, taxierte ihn als einen harmlosen, reichen Rockhochheber, den irgend etwas auf der Seele juckte, und goß einen Absinth ein. Absinth ist immer gut, dachte er. So ein grüner Wermutschnaps hat's in sich. Er ist wie ein Messingputzmittel … er schabt alles glänzend. Nach drei, vier Absinth kann draußen der Sturm heulen … man hört ihn wie Orgelmusik.
    Bob Barreis sah gar nicht hin auf das, was vor ihm stand … er trank das Glas, lehnte sich gegen die Theke und dachte an Claudette, an diesen fürchterlichen Anblick ihrer Auflösung. Und wenn ich sie herumtragen muß wie ein gelähmtes Kind, dachte er weiter, ich liebe sie. Das ist etwas Rätselhaftes, Unbegreifliches … der Verstand ruft einem zu: Hau ab, jetzt, sofort, flieh irgendwohin … aber da ist dieses Unnennbare, das einen festhält. Die wunderschöne, kleine, arme, vom Rauschgift zerfressene Hure, und der enterbte Millionenerbe, der Rallyefahrer, der Playboy, der sich in Hunderten von Betten wälzte und Tausende von Seufzer unter sich erdrückte … du lieber Gott im Himmel, was paßt besser zusammen?! Eine Hochzeit der Entwurzelten, der charakterlichen Mißgeburten, der Ausgestoßenen der Gesellschaft … welch ein Fest!
    Fissani klemmte sich neben Barreis auf den Nebenhocker und winkte ›Papa‹ zu. Da er mit den Fingern schnippte, erhielt er ein großes Glas Pernod. Bei Chabrot waren viele Worte überflüssig.
    Neben Fissani erschien nach fünf Minuten eine andere Type. Ein kleiner, schmaler Bursche mit einer Baskenmütze auf dem runden Kopf. Mit dunklen Augen, die ständig zuckten, und Fingern, deren Nägel einen permanenten schwarzen Rand hatten.
    »Ah, Piero!« sagte der Kleine so laut, daß Bob es hören mußte. »Pünktlich wie immer.« Er hob den Zeigefinger … ›Papa‹ goß einen Calvados ein und schob ihn über die Theke. Dann verzog er sich auf seinen Stuhl in der Ecke. Wenn seine Gäste sich unterhalten wollten, war es besser, eine Klappe über die Ohrmuscheln fallen zu lassen.
    »Es war abgemacht«, sagte Fissani. »Hast du's bei dir?«
    »Nein.«
    »Ich schlage deinen Kopf gegen die Wand!« knurrte Fissani. »Meine Kunden stehen Schlange. Warum hast du nichts?«
    »Weil ich etwas Neues habe.« Der Kleine rülpste genußvoll nach einem Schluck Calvados und hob wie ein Lehrer die Finger. Aufgepaßt, mein Freund. »Vier Ampullen!«
    »Idiot! Ich bin kein Bauchladenhändler.«
    »Diese vier gläsernen Tröpfchen sind sechzehn Himmelchen. Sie haben die vierfache Wirkung des üblichen Zeugs. Eine ganz neue Mischung, Piero. Du setzt an, drückst es hinein, und nach zehn Minuten kommen die Engel und spielen sündige Lieder zur Harfe. Ich hab's einmal ausprobiert, bei Jacques Domenier. Du kennst Jacques. Er braucht die dreifache Ladung, um überhaupt wieder geradeaus zu sehen. Ssst, er drückte ab, schnalzte mit der Zunge, und fünf Minuten später hätte er das ganze Filmfestival vergewaltigen können. Ein phantastisches Zeug, Piero. Aber ich habe nur vier Stück. Nächste Woche kommt erst die ganze Sendung … das sind Pröbchen, für gute Freunde, weißt du. Vier Stück für zweitausend Francs.«
    »Du hast ein Geschwür im Hirn!«

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