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Ein Mann wie ein Erdbeben

Ein Mann wie ein Erdbeben

Titel: Ein Mann wie ein Erdbeben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Sonne hatte ihn geschafft. Sein Gaumen war wie Leder, die Haut glänzte von Schweiß.
    »Das ist geradezu unglaublich«, sagte er, riß Tschocky die Flasche aus der Hand und goß sich den Rest Mineralwasser über den Nacken. »Wie kann ein Mensch hier leben?«
    »Und sie leben sogar glücklich, du wirst es sehen! Sie werden die Lieferanten der ›Anatomischen Handelsgesellschaft‹ werden …«
    Der Bürgermeister Ettore Laparesi war der erste, der sie begrüßte. Er kam ihnen den steil ansteigenden Weg entgegengelaufen, schwenkte ein Fernglas über seinem Kopf und rief Laute, die sie noch nicht verstehen konnten. Vom Balkon seiner ›Casa Communale‹ aus hatte er den fremden Wagen eine geraume Zeit beobachtet, bis er im Okular seines Fernglases – es war der wertvollste Besitz der Familie Laparesi, der sie über alle anderen Dorfbewohner erhob, denn wer weit blicken kann, ist immer im Vorteil – den Freund aus Germania, den guten, lieben, spendablen Tschocky erkannte. Ettore hatte sich sofort auf den Weg gemacht, lief schreiend durch die brütend heißen Gassen – »Sochi kommt!« rief er, »Sochi kommt!«, denn Tschocky ist für einen Italiener unaussprechbar – und rechnete sich auf dem Weg zum Hang bereits aus, wieviel er diesmal durch diesen Besuch gewinnen könnte. Damals hatte es für sechs Monate gereicht. ›Socci‹ hatte mit den Lire um sich geworfen, als seien es Kieselsteine, sogar der Pfarrer, Don Emilio, war nachher bei Laparesi erschienen, hatte ihn gesegnet und gesagt: »Ettore, denke daran, daß alles Gottes Fügung war.« Laparesi verstand diesen Wink, stiftete der Kirche vier große Kerzen und durfte bei der nächsten Bittprozession zwanzig Minuten lang die Muttergottes am Bach, dem Lebensquell von Mezzana, entlangtragen.
    »Amici!« brüllte Ettore, als Bob am Dorfeingang bremste.
    »Amici! Willkommen! Willkommen! Laßt euch umarmen. Welche Freude!«
    Er stürmte das Auto, riß Tschocky aus dem Wagen, umarmte und küßte ihn und preßte dann auch Bob an seine Brust. Ettores Freude war ehrlich. In seinem stoppelbärtigen, wie die Felsen zerklüfteten, gegerbten Gesicht nistete greifbarer seelischer Glanz. Was bedeutete es schon, daß sein Atem sauer nach Wein und Knoblauch stank und eine Wolke von tierhaftem Schweißgeruch ihn einhüllte. Bob Barreis, der Ästhetiker, der alles Unschöne verachtete und den nur der pfirsichhafte Schweißgeruch einer schönen Frau erregen konnte, nicht aber der Bittermandelgeruch eines Straßenarbeiters, schob Ettore freundlich, aber bestimmt von sich und sah sich hilfesuchend nach Tschocky um.
    »Wir haben einen Wein dieses Jahr!« schrie Ettore, als müsse er eine ganze Armee kommandieren. »Einen Wein, amici!« Er schnalzte mit der Zunge, verdrehte die Augen und schmatzte mit den Lippen. »Rot wie Stierblut! Mamma Giulia« – das war Frau Laparesi, eine dicke Frau mit einem Gesicht, in das jedes Jahr ihres Lebens eine Kerbe geschlagen hatte – »bäckt schon eine riesengroße Pizza! Welche Freude! Welche Freude!«
    Am Abend kam der Pfarrer, Don Emilio, ins Haus der Laparesi, Bob und Tschocky hatten sich vom ganzen Dorf bewundern lassen und hatten an die Kinder Geld verteilt. Die Erwachsenen waren zu stolz, es ohne Gegenleistung anzunehmen, sie waren keine Bettler. »Auch das muß man einkalkulieren«, sagte Tschocky zu Bob. »Die Sonne hat in ihrem Gehirn ein Zentrum besonders gedeihen lassen: den Stolz. Diese Leute würden, um leben zu können, stehlen, morden und brennen, aber niemals betteln. Und auch für zehntausend Lire legt sich keines dieser Mädchen zu dir ins Bett … wenn sie's tun, dann umsonst, aus Liebe, mit ganzem Herzen. Und das ist lebensgefährlich. Hier kennt man keinen Flirt – hier ist alles Ehre und Stolz. Also Vorsicht, Bob … schieb dir eine Stahlplatte vorn in die Hose!«
    Don Emilio aß ein Stück von der riesigen Pizza mit, trank den schweren, schwarzroten Wein wie Wasser und erzählte dann, daß das Haus Gottes in Mezzana kein Lob des Herrn sei, sondern eine Beleidigung der Christenheit. »Tausend Mark würde es kosten, um sie zum Lobe Gottes zu renovieren«, sagte er. Nach dem Ruf Ettores durch alle Gassen hatte Don Emilio sofort von Lire in Deutsche Mark umgerechnet, wieviel seine Kirche an Brosamen von den Tischen der Reichen benötigte. Mit tausend Mark war es zu schaffen. Einhundertachtzigtausend Lire … welche Summe für Mezzana! Und nur ein Staubkorn in der Tasche des Reichtums.
    »Investieren wir«, sagte Tschocky

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