Ein Mann wie ein Erdbeben
lässig zu Bob. »Wir geben ihm die tausend Mark, und er wird, wenn wir unsere Handelsware abtransportieren, sich hinter den Altar verkriechen, die Augen schließen und die Hände gegen die Ohren pressen. Wenn's sein muß, baue ich ihm einen neuen Glockenturm …« Tschocky lächelte Don Emilio, der kein Deutsch sprach, freundlich an, griff in die Brusttasche und zählte zehn Hundertmarkscheine auf die roh gehobelte Tischplatte Ettores. »Wir werden sogar Gott bestechen«, sagte er dabei.
»Das ist die tollste Idee, mit der ich je zu tun hatte.« Bob Barreis verzog sein schönes Gesicht. Sein Blick glitt über die gierigen Augen des Bürgermeisters Laparesi, über Don Emilio, der sich zuerst zierte, dann aber mit einer Handbewegung, als habe er einmal Dienst als Croupier in einer Spielbank getan, die Scheine einstrich, und über Mama Giulia, die sich die fetten Lippen leckte, Ettore unter dem Tisch gegen das Bein trat und ihn auf diese Weise daran erinnerte, daß auch die Laparesis Deutsche Mark annahmen.
Ettore seufzte, langte unter den Tisch, rieb sein Bein und stierte auf die Reste seiner Pizza. »Die Ernte war schlecht«, stöhnte er. »Ein Sommer, amici, ein Sommer! Wenn man den Hintern aus der Tür streckte, hatte man im Handumdrehen gebratenen Schinken! Den Hühnern versengten die Federn. Die Ziegen gaben kochende Milch. Ein böser Sommer. Wir haben im Winter gehungert und Heu gefressen wie das Vieh –«
»Das kann sich ändern«, sagte Tschocky bedeutungsvoll. »Aber der Wein ist gut, Ettore …«
Um 22 Uhr ging Don Emilio fort, um die Glocken zu läuten. Es waren zwei armselige, schrille Glöckchen, aber nicht der Ton lobt Gott, sondern die Gesinnung, die am Seil zieht. Ettore rückte an Tschocky und Bob heran, nachdem Mamma Giulia die Männer allein gelassen hatte und irgendwo draußen vor dem Haus herumklapperte.
»Du machtest vorhin eine Andeutung, Socci«, bohrte sich Ettore vor. »Das Elend von Mezzana zerfrißt mein Herz. Ich kann dir Kinder zeigen, die noch nie ein Stück Fleisch bekommen haben, die keine Polenta kennen, keinen Fisch …«
»Mich interessieren nicht die Kinder, Ettore, mich interessieren die Alten, Kranken, Gebrechlichen … die, die in Kürze sterben.« Tschocky legte dreihundert Mark auf den Tisch. Ettore schluckte heftig – er wußte, daß sie ihm gehörten, aber er sann darüber nach, was er dafür zu leisten hatte. Vor dem Haus entstand ein Stimmengewirr … Abgesandte der Familien von Mezzana erkundigten sich bei Mamma Giulia, wie es den beiden Fremden aus Germania ginge. Ob sie satt seien und vor allem freundlich. Man hatte im Dorf sofort bemerkt, daß Don Emilio heute abend die Glocken länger läutete.
»Die Kranken?« fragte Ettore und putzte sich die weinfeuchten Lippen mit dem Handrücken ab. »Aha, die Kranken! Wieso, Socci?«
»Liegt im Dorf jemand im Sterben?«
»Nein.« Ettore starrte Tschocky und dann Bob an. »Warum?«
»Wir brauchen Tote, Ettore.«
»Tote …?«
»Und zahlen fünfzigtausend Lire für eine Leiche«, sagte Bob.
»Amici, ihr seid betrunken.« Ettore grinste breit. »Der Wein ist gut, was? Wächst auf den Felsen …«
»Das ist kein Scherz, Ettore.« Tschocky legte die Hand auf die drei Hundertmarkscheine. Bürgermeister Laparesi begriff sofort, daß es ernst wurde. Er nahm einen langen Schluck Wein und schielte beim Trinken über den Rand der Tonkanne. »Du weißt, daß man an den Universitäten Ärzte ausbildet.«
»Ich bin doch kein Idiot.«
»Sie studieren die Krankheiten, sie lernen den Menschen von innen und von außen kennen, und sie brauchen dazu Leichen, die man aufschneiden kann, um in allen Einzelheiten die Anatomie, den Aufbau des Körpers, zu begreifen. Die Studenten müssen jeden Knochen kennen, jeden Muskel, jeden Nerv, jede Sehne, jede Drüse, jede Arterie oder Vene, jedes Organ, seinen Aufbau und seine Funktion, seine Krankheiten und die Möglichkeiten der Heilung. Zu allem braucht man Leichen, um an ihnen genau zu studieren, wie man das Leben verlängern kann. Es ist also eine gute, edle Aufgabe, Tote an die Universitäten zu verkaufen.«
Ettore Laparesi starrte in seinen Weinkrug und dachte nach. Zum erstenmal im Leben wurde er mit einer Tatsache konfrontiert, über die er sich noch nie Gedanken gemacht hatte. Natürlich, die Ärzte müssen ja den Menschen auch von innen kennen, denn woher sollen sie sonst wissen, welche Krankheiten sich innen ansiedeln können. Und dann die Operationen. Da muß man ja wissen, wohin
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