Ein Mann wie ein Erdbeben
man schneidet. Ettore hatte immer die Chirurgen bewundert, wenn die Zeitungen und Illustrierten über sie berichteten. Da nähte man abgetrennte Arme wieder an, meißelte Köpfe auf, verpflanzte ganze Herzen … es war schon eine tolle Welt. Und der Maria Capuccilini aus dem Nachbardorf Ovindoli hatten sie in Palermo sogar eine Brust abgenommen, und seitdem wurde sie munter wie eine Zwanzigjährige.
Ettore sah Bob an, als wolle er auch von ihm eine Erklärung. Und Bob sagte:
»Überlegen Sie einmal, Signore Laparesi: Jemand stirbt, man legt ihn in einen Sarg, scharrt ihn in die Erde, und dort verfault er. Wem nutzt er noch? Keinem! Nur Mühe kostet er. Man muß das Grab pflegen, bepflanzen, sauberhalten. Was aber könnte er der Menschheit nützen, wenn man ihn uns verkauft! Er kann das Wissen von vielen jungen Ärzten erweitern, er hilft mit, die Krankheiten zu besiegen … und er bringt den Hinterbliebenen auch noch fünfzigtausend Lire ein …«
»Das ist enorm wichtig!« Ettore legte die Hände gefaltet über die Weinkanne. Sein unrasiertes, verwittertes Gesicht nahm einen Ausdruck ehrlicher Trauer an. »Aber wir haben keinen Toten in Mezzana.«
»Keinen Schwerkranken?«
»Einen. Den alten Giubbia. Ist neunzig Jahre alt, hatte drei Schlaganfälle und kann seit vier Jahren nicht sterben. Immer wenn er merkt, es geht los, säuft er einen Krug Wein und lebt weiter – Die Familie Giubbia ist schon voller Verzweiflung …«
»Und in den Nachbarorten? Ich zahle dir zwanzigtausend Lire Vermittlung.«
Ettore Laparesi schwieg. Auch ein Mensch aus Mezzana muß sich erst daran gewöhnen, mit Toten zu handeln. So einfach ist das nicht, sich umzustellen. Statt Melonen Leichen … das war auch für Ettore ein Niederknüppeln moralischer Bedenken.
Es ist für die Medizin, dachte er dumpf. Für uns alle. Da hat er recht. In der Erde nützen sie gar nichts, aber in den Universitäten kann man an ihnen lernen. Warum hat eigentlich die Mafia diese Handelsmöglichkeit noch nicht entdeckt? Da müssen erst die Tedeschi kommen …
»Überschlafen wir es«, sagte Ettore diplomatisch. »Ich muß erst überlegen, ob dieses Geschäft gottgefällig ist –«
Bob Barreis und Tschocky blieben zwei Tage in Mezzana, da kehrte am dritten Tag Laparesi von seiner neuen Überlandfahrt zurück und meldete mit glänzendem Gesicht:
»Ich habe einen Toten! In Primolano. Ein kräftiger Kerl, zwanzig Jahre alt. Unfall, amici … seine Familie hat seit neun Generationen Streit mit den Nachbarn Frolini. Alberto Ducci war nach der Rangordnung der nächste, der dran war. Aber er war schlau. Suchte sich Arbeit in Deutschland. Blieb dort zwei Jahre. Und jetzt kommt er zurück, um seine Mamma zu besuchen, und läuft genau dem alten Frolini vor die Schrotbüchse. Wie kann man nur so dumm sein, so dumm …« Ettore warf die Hände hoch und begann, die ganze Geschichte vom Generationenstreit der Familien Frolini und Ducci zu erzählen. Begonnen hatte es irgendwann im Jahr 1809 … da hatte ein Ducci eine Tochter der Frolinis geschwängert und nicht geheiratet. Am Tag der Geburt des Kindes fand man Ducci mit eingeschlagenem Schädel. Seitdem brachten sich die Familien gegenseitig um, aber sie schafften es nicht. Die Frauen gebaren mehr Kinder als man umbringen konnte. Mit jedem Toten wuchs die Fruchtbarkeit. Es wäre alles so einfach gewesen, wenn die Frolinis oder die Duccis in einen anderen Ort gezogen wären … aber das war unmöglich. Ihre Ehre war aus Stein, wie die Felsen um sie herum.
Eine Stunde später fuhren Bob und Tschocky mit ihrem Kombiwagen nach Primolano. Ettore saß hinten auf der Spezialkiste und rauchte eine Zigarette nach der anderen. Die Kippen drückte er auf dem Kistendeckel aus. Er war nervös. Die Familie Ducci war bereit, den Toten, von dem noch niemand offiziell wußte, daß er tot war, zu verkaufen. Die Carabinieri-Station in Rocca del Aquila war überhaupt nicht unterrichtet … was ging die Polizei auch die Fehde der Familien Frolini und Ducci an? Ändern konnte den Zustand doch niemand.
In Primolano erwartete die ganze Familie Ducci den deutschen Aufkäufer ihres lieben Alberto.
Wie riesige Raben saßen die schwarzverhüllten Frauen der Duccis um das einfache Feldbett, auf dem der Tote lag. Sein schönes, stolzes Gesicht war noch voller Faszination, mit der die Leidenschaft einen sizilianischen Menschen zeichnen kann. Mario Ducci, das Familienoberhaupt, weißhaarig, zerklüftet wie die Felsen, kam Bob und Tschocky mit
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