Ein Mann wie Mr Darcy
er musste ganz früh weg. Eine dringende berufliche Angelegenheit.«
Am Tisch erhebt sich Gemurmel. Offensichtlich sind die anderen ebenso überrascht wie ich.
»Aber was ist denn mit dem Artikel?«, fragt Hilary und verschränkt die Arme, als sei sie bereit, Miss Staene ins Kreuzverhör zu nehmen. Man kann sie sich ohne weiteres als Partnerin einer großen Anwaltskanzlei vorstellen.
»Er ist so gut wie fertig. Er hat alle Interviews gemacht«, antwortet sie nur.
»Aber mich hat er noch nicht interviewt«, höre ich mich protestieren.
Meine Worte überraschen mich selbst, und ich sehe, wie Miss Staene mich anblickt.
»Vielleicht haben Sie ihm den Eindruck vermittelt, als wollten Sie nicht interviewt werden«, meint sie.
»Ja, vielleicht«, nicke ich, auch wenn ich weiß, dass es da kein ›vielleicht‹ gibt.
»Meiner Erfahrung nach muss man klare Verhältnisse schaffen, wenn es um Männer geht, Emily. Wir Frauen lieben es, einen Mann zu enträtseln, und können das sehr gut. Aber Männer sind nicht daran interessiert, dasselbe mit uns zu tun, habe ich Recht, meine Damen?« Miss Staene sieht sich um und erntet zustimmendes Lachen. »Und das trifft umso mehr zu, wenn es um Herzensangelegenheiten geht.Wie Charlotte Lucas in Stolz und Vorurteil schon sagte, kann es manchmal ›von Nachteil sein, so verschlossen zu sein. In neun von zehn Fällen tut die Frau gut daran, mehr Zuneigung zu zeigen, als sie tatsächlich empfindet‹.«
Nachdem Miss Staene geendet hat, fällt mir auf, dass sie mir direkt ins Gesicht sieht, und mich beschleicht dasselbe Gefühl wie gestern Abend auf dem Ball. Als unsere Reiseleiterin zitiert sie lediglich Jane Austen, doch ich habe fast das Gefühl, als seien diese Worte ihr persönlicher Rat an mich, und als wüsste sie weitaus mehr, als sie zugibt.
»Ach, das ist ja schade«, dröhnt Rose. »Netter Kerl. Ich hätte ihm gern noch Auf Wiedersehen gesagt.« Die Damen nicken zustimmend, und während sich bedauerndes Gemurmel erhebt, dass man noch keine Gelegenheit gehabt habe, ihm ein gutes neues Jahr zu wünschen, ihn gern eingeladen hätte, bei Gelegenheit doch auf einen Besuch vorbeizukommen, oder gern versucht hätte, ihn mit der ›alleinstehenden, aber hinreißenden Nichte‹ zu verkuppeln, entschuldige ich mich und verlasse den Saal.
Das war’s also. Spike ist zurück nach London gefahren. Und ich kehre übermorgen zurück nach New York. Was bedeutet, dass wir uns nie wieder sehen werden. Kein Streit mehr. Gar nichts mehr. Es ist vorbei. Ende. Mann, was für eine Erleichterung.
Doch selbst in dem Moment, als ich mir das sage, werde ich das Gefühl nicht los, dass ich mir etwas vormache. Irgendwo, tief in meinem Innern, nagt der Zweifel an mir, dass ich möglicherweise einen schweren Fehler gemacht habe. Und dass es nicht Erleichterung ist, was ich empfinde, sondern Reue.
Achtundzwanzig
D a heute Neujahr ist, hat man uns eine Pause von unserem dicht gedrängten Reiseplan gegeben. Stattdessen werden den ganzen Tag Verfilmungen von Jane Austens Büchern im Salon gezeigt, gefolgt von mehreren Diskussionsrunden. Als Erstes steht gleich nach dem Frühstück die Adaptation von Stolz und Vorurteil mit Keira Knightley und Matthew McFadyen auf dem Programm. Ich beschließe, es auszulassen. Es ist zwar ein toller Film, und Matthew ist ein Schatz, aber ich habe ihn schon zweimal auf DVD gesehen. Außerdem ist mir nicht nach Film zumute.
Um ehrlich zu sein, glaube ich nicht, dass ich mich überhaupt auf irgendwas konzentrieren könnte, weil meine Gedanken ununterbrochen um den gestrigen Abend kreisen.
Wenn auch nicht über die Teile, über die ich nachdenken möchte. Über meinen Mondscheinritt mit Mr. Darcy, darüber, wie er ein Gedicht rezitiert hat, über jenen köstlichen Moment, als die Zeit stillzustehen schien und er mich küssen wollte, über Spike, der mich ein Miststück genannt hat -
Da! Schon wieder. Genau das meine ich damit. Sobald ich versuche, mich an meinen Abend mit Mr. Darcy zu erinnern, kehren meine Gedanken zu dem zurück, was mit Spike passiert ist.
Hör auf damit!, blafft die laute Stimme in meinem Kopf.
Es ist mir egal, okay? Spike und was auch immer er zu sagen hat – es ist mir egal.Wie gesagt, es ist vorbei. Ich werde ihn nie wieder sehen, wozu soll das Ganze also noch gut sein?
Als ich die Lobby durchquere und am liebsten auf dem schnellsten Weg in mein Zimmer zurückkehren und ein wenig Schlaf nachholen würde, erspähe ich einen Computer, der
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