Ein Mann wie Mr Darcy
bin das Arschloch. Deshalb habe ich ein paar Zeitungsausschnitte von damals angehängt. Ich erwarte nicht, dass du mir glaubst, Emily, aber da steht es schwarz auf weiß – also entscheide selbst.
Doch bevor du sie liest, will ich Auf Wiedersehen sagen. Übrigens bin ich trotzdem froh, dich kennen gelernt zu haben. Und wenn du es bis hierhin durchgehalten hast, vielen Dank fürs Zuhören.
Spike.
Neunundzwanzig
I ch weiß nicht, wie ich meine Gefühle beschreiben soll, als ich Spikes E-Mail las. Ich glaube, ich habe jedes Gefühl durchlebt, das man nur durchleben kann. Entrüstung, Ungläubigkeit, Wut, Ärger, Entsetzen, Schuld, Reue. Ich weiß, dass ich mich mit dem festen Vorsatz, ihm kein Wort zu glauben, aufs Bett gesetzt hatte. Meine Meinung stand fest. Er war in allen Anklagepunkten schuldig.
Doch je länger ich las, umso mehr begannen sich meine Vorurteile aufzulösen. Mit jeder Seite wurde die Beweislast überwältigender. Bis kein Zweifel mehr bestand: Ich hatte ihn verurteilt, und mein Urteil war falsch gewesen. Schrecklich, schrecklich falsch. Die Zeitungsausschnitte brauchte ich nicht einmal mehr anzusehen, um das zu wissen.
Trotzdem habe ich es getan. Die Überschriften sprangen mir förmlich entgegen: VERRAT AN DER LIEBE... DER FlÜCHTIGE BRÄUTIGAM … ER STAHL IHR HERZ UND IHR ERSPARTES …
Daneben waren Fotos eines Mannes mit braun gefärbtem Haar und Schnurrbart zu sehen, doch es bestand kein Zweifel, dass es Ernie war. Der nette, wehrlose Ernie. Das unschuldige Opfer. Überlebender einer Eifersuchtsattacke von Spike, einem Mann, der nur halb so alt war wie er.
Verdammt! Wie konnte ich mich nur so irren?
Ich sitze auf der Bettkante, atme durch, versuche, die Nerven zu behalten. Mir schwirrt der Kopf. Ich habe keine Ahnung, was ich tun soll. Am liebsten würde ich nach unten laufen und Spike eine Mail schicken, in der ich mich entschuldige, aber nach allem, was ich gesagt habe, nach all den Beschuldigungen und meinem abscheulichen Verhalten ihm gegenüber erscheint mir das ziemlich lahm. Eine E-Mail nach allem, was ich gesagt und getan habe? Ganz ehrlich – ich könnte es ihm nicht verdenken, wenn er mir an den Kopf werfen würde, ich solle mich zum Teufel scheren.
Vielleicht sollte ich das Ganze auf sich beruhen lassen. Schließlich habe ich schon genug Schaden angerichtet. Ich könnte es einfach vergessen. So tun, als wäre es nie geschehen.
Aber es ist geschehen.
Reue ergreift mich. Ich denke an Ernie, daran, wie nett ich ihn fand und wie schnell ich bereit war, seine Geschichten über Spike zu glauben. Warum? Weil ich sie glauben wollte. Weil sie meiner Meinung über ihn entsprachen, weil sie meinen ersten Eindruck bestätigten. Ich wollte Recht haben.
Und trotzdem hättest du dich nicht gründlicher irren können, stimmt’s, Emily?
Ich spüre, wie mich Gewissensbisse und Scham überkommen – und Angst. Es ist ein beängstigender Gedanke, dass man seinem eigenen Urteil nicht trauen kann. Dass Stolz und Vorurteil einen vollkommen blind für die Wahrheit machen können. Das wirft automatisch die Frage auf, wie oft man schon vorher falsch geurteilt und es nur nie herausgefunden hat.
Mit einem Mal kommt mir das Zimmer zu eng vor. Ich muss hier raus und frische Luft schnappen. Es ist so viel passiert, dass ich nicht mehr klar denken kann – Spikes Enthüllungen über Ernie, Mrs. McKenzies Mail …
Ich ziehe meine Stiefel und den dicken Wintermantel an und gehe nach unten. An der Rezeption kann man Fahrräder ausleihen, und ich suche mir ein schwarzes mit einem Weidenkörbchen am Lenker aus. Es sieht mehr nach Miss Marple als nach Lance Armstrong aus, aber ob ich cool aussehe oder nicht, ist im Augenblick meine geringste Sorge. Ich schwinge mich in den Sattel und mache mich auf den Weg aus der Stadt hinaus.
Es fühlt sich gut an. Ich sauge die kalte Luft in die Lungen und trete kräftig in die Pedale. Schon bald gehen die Straßen in schmale Wege über, und die Häuser weichen dem freien Feld. Ich fahre weiter. Ich achte nicht auf den Schmerz in meinem Hinterteil und meinem Knöchel, sondern konzentriere mich auf die gleichmäßige Bewegung der Pedale, spüre, wie der kalte Wind durch mein Haar fährt. Mit jedem Meter spüre ich, wie ich ruhiger werde. Ich lasse die Stadt hinter mir und fahre immer weiter den Hügel hinauf. Fahrradfahren hat so etwas Klares, Einfaches an sich. Man tritt, man kommt voran. Warum kann das Leben nicht immer so einfach sein?
Nach einer Weile wird
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