Ein Mann wie Mr Darcy
was eine Beifallswelle unter den Anwesenden auslöst. Ich schließe mich an, ohne richtig zugehört zu haben. Ich bin viel zu beschäftigt damit, über Mr. Darcy nachzudenken. Darüber, wie ich ihm sagen kann, dass es vorbei ist, dass ich mich nicht länger mit ihm treffen kann. Und darüber, wie ich ihn finden soll, um das zu tun.
Die Frage, wo ich ihm das nächste Mal wohl begegnen werde, war mir immer so romantisch und aufregend vorgekommen, doch mit einem Mal finde ich sie eher ärgerlich. Ich spüre einen Anflug von Frustration. Ich will keinen geheimnisvollen und rätselhaften Mann, sondern einen, dem ich eine SMS schicken kann. Ich, die sich darüber beschwert, dieses ständige Verschicken von Textnachrichten sei so unromantisch und zerstöre jeden Anflug von geheimnisvoller Atmosphäre. Jetzt würde ich alles dafür tun, wenn ich nur »Wo bist du?« tippen und auf »Senden« drücken könnte.
»… im Gegensatz zu Chatsworth Hall, das Jane Austen im Jahre 1811 besuchte und das die wahre Vorlage für Pemberly darstellte, denke ich – und in diesem Punkt werden Sie, meine Damen, mir gewiss zustimmen -, ist Lyme Hall doch wesentlich praktischer für Elizabeth, wenn sie die Dame des Hauses wird …«
Stunden später kommt Miss Staene zum Ende ihrer Führung. Während sie uns in den letzten Raum führt, sehe ich mich schnell um, wie ich es in jedem Raum des Hauses getan habe, in der Hoffnung, Mr. Darcy zu erblicken. In der Hoffnung, dass er so unerwartet auftaucht wie gewohnt. Diese hochgewachsene, dunkle, auf den ersten Blick erkennbare Gestalt, der vertraute verschlossene Gesichtsausdruck, die unverwechselbare Stimme mit ihrer Ernsthaftigkeit und den tadellos ausgesprochenen Vokalen.
Doch obwohl ich hinter jede Marmorbüste und jedes Möbelstück gespäht und aus jedem Fenster gesehen habe, konnte ich ihn nirgendwo entdecken. Nun, da sich unser Besuch dem Ende neigt, verliere ich allmählich die Hoffnung, dass er noch auftaucht. Und mache mich mit dem Gedanken vertraut, dass ich ihn wohl niemals wiedersehen werde.
Bei der Vorstellung verspüre ich eine seltsame Mischung aus Bedauern und Erleichterung. Ich schätze, es würde mein Problem, mit ihm Schluss machen zu müssen, wohl lösen – und doch fühlt es sich irgendwie nicht richtig an. Nach allem, was vorgefallen ist, habe ich das Bedürfnis, mich richtig von ihm zu verabschieden. Ich muss einen Schlussstrich ziehen, so idiotisch sich das anhört.
Nachdem die Führung zu Ende ist, machen sich alle auf den Weg ins Café oder zum Souvenirshop, während ich nach draußen gehe, um die Aussicht zu genießen. Es ist wirklich wunderschön hier. Bislang ist mir gar nicht richtig aufgefallen, wie atemberaubend dieser Ort ist. Bei der Ankunft hatte ich die Nase viel zu tief in mein Buch vergraben, um die Fahrt durch den umliegenden Wildpark, das von Gartenanlagen umgegebene Herrenhaus im Stil einer prachtvollen italienischenVilla und den eindrucksvollen spiegelblanken See davor zu genießen. Doch als ich nun hier stehe und den Anblick auf mich wirken lasse, raubt er mir geradezu den Atem.
Das Herrenhaus selbst ist herrlich, wenn auch ein bisschen überwältigend, vollgestopft mit Uhren, Gobelins und Holzschnitzarbeiten, während sich die sieben Hektar viktorianischer Gärten mit dem edwardianischen Rosengarten, den Wildparks und Wäldern scheinbar in die Endlosigkeit erstrecken. Doch es ist nicht nur die geschmackvolle Ausstattung, sondern vor allem die Atmosphäre, die Lyme Park etwas Magisches verleihen. Mittlerweile ist mir klar, warum die BBC es ausgewählt hat. Es strahlt eine gewisse Heiterkeit aus. Ich kann mir vorstellen, dass sich hier in Hunderten von Jahren nichts geändert hat, so als wäre die Zeit stehen geblieben.
Ich nehme einen tiefen, langen Atemzug und schiebe meine behandschuhten Hände tiefer in die Taschen. Ich stehe in der klaren, frischen Januarluft allein da, blicke auf den See hinaus, sehe den Vögeln in der Ferne nach, die zeternd von der Wasserfläche aufsteigen und sich über die Zweige der kahlen Bäume emporschwingen.
»Wunderschön, nicht wahr?«
Abrupt drehe ich mich um und sehe Miss Staene über den Pfad auf mich zukommen. Ein Anflug von Bedauern regt sich in mir. Ich habe jetzt keine Lust zu reden, sondern möchte allein sein.
»Oh, ja, ja«, bestätige ich nickend. »So etwas bekommt man in New York nicht zu sehen«, füge ich mühsam hinzu, weil ich das Gefühl habe, etwas sagen zu müssen, während meine
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