Ein Mann wie Mr Darcy
Miss Albright. Wenn Sie so freundlich sein wollen.« Sie schaut zwischen mir und dem Fahrer hin und her. Ihre Miene verrät mir, dass sie ganz genau weiß, was los ist, aber sich nichts anmerken lässt. Aber ich hatte ja bereits häufiger den Eindruck, dass Miss Staene wesentlich mehr weiß, als sie sagt.
Ich setze mich hin und sehe aus dem Fenster. Und zum ersten Mal dämmert es mir, dass ich für jemanden, der eine Menge über alle anderen erfahren hat, über unsere geheimnisvolle Reiseleiterin reichlich wenig weiß.
Zweiunddreißig
N atürlich macht Ernies plötzliches Verschwinden schnell die Runde, und es dauert nicht lange, bis die Gerüchteküche zu brodeln beginnt. Hilary will aus vertrauenswürdiger Quelle erfahren haben, dass Ernie am Silvesterabend gesehen wurde, wie er mit einer Frau den Ball verlassen hat.
Anscheinend waren sie ›in ein Gespräch vertieft‹, wie Hilary es ausdrückt, was mich an diese Fernsehkrimis erinnert, wo die Opfer vor ihrem verfrühten Tod stets als Letztes mit einem Fremden ›in ein Gespräch vertieft‹ gesehen werden. Nicht dass ich daraus schließen wollte, dass Ernie vom Heiratsschwindler zum Mörder geworden wäre, ich meine nur.
Die Geschichte gewinnt durch Rupinda später noch an Glaubwürdigkeit, die unter heftigem Geklingel ihrer zahllosen goldenen Armreifen von ihrem Besuch bei einem Zeitungskiosk berichtet, wo sie Ernie und besagter geheimnisvoller Dame über den Weg lief (mittlerweile sprechen wir von einer blonden Frau mit einer schlechten Körperhaltung, die laut Rupinda mithilfe von Yoga erheblich verbessert werden könnte). Ernie jedenfalls hatte Rupinda nicht bemerkt, sodass sie ihn und die Frau über ihren Last-Minute-Urlaub auf Jamaica sprechen hören konnte.
Zumindest ist es das, was sie gehört zu haben glaubt, räumt Rupinda auf eindringliches Nachfragen von Rose ein, aber vielleicht irre sie sich auch. Ehrlich gesagt … nun, da sie genauer darüber nachdenke, sei sie sich nicht einmal mehr ganz sicher, ob es überhaupt Ernie gewesen sei, weil sie viel zu beschäftigt gewesen sei, die neueste Ausgabe von Spiritual Health Monthly durchzublättern. Es folgt ein allgemeines enttäuschtes Stöhnen all jener, die mit angehaltenem Atem gelauscht haben, ehe Miss Staene Rupinda ärgerlich einer übersteigerten Fantasie bezichtigt und uns ermahnt, uns lieber nicht länger in müßigen Spekulationen zu ergehen, sondern nach links zu sehen, da wir gerade ein berühmtes Viadukt aus der Römerzeit überqueren.
Und ich? Ich weiß nicht, was ich glauben soll.Vielleicht haben Hilary und Rupinda Recht, vielleicht auch Miss Staene oder keiner, und es ist etwas vollkommen anderes passiert. Wie auch immer, jedenfalls ist er weg.
Ich werfe Maeve einen Seitenblick zu. Sie hat das Gesicht dem Fenster zugewandt und blickt lächelnd nach draußen. Selbst wenn wir nie herausfinden, was mit Ernie passiert ist, steht eines fest: Sie hat Glück gehabt und ist noch einmal unbeschadet davongekommen. Und das haben wir Spike zu verdanken. Wäre er nicht gewesen, hätte diese Geschichte womöglich ein ganz anderes Ende genommen.
Die Fahrt nach Cheshire dauert lange, und nach einer Stunde haben wir die schöne Landschaft weit hinter uns gelassen und rollen nun in der grauen Monotonie einer englischen Autobahn dahin.
Ich denke an Bath. Daran, dass ich es nun verlasse. Ein Teil von mir ist traurig. So wie man traurig ist, wenn man sich so lange darauf gefreut hat, irgendwohin zu fahren oder etwas Bestimmtes zu tun, und es dann mit einem Mal hinter einem liegt. Andererseits bin ich auch ziemlich erleichtert. Ich habe eine Menge wunderschöner Erinnerungen, in deren Mittelpunkt größtenteils Mr. Darcy steht – unsere unglaubliche erste Verabredung auf dem See, der Ritt zum mondbeschienen Schloss am Silvesterabend, die Schmetterlinge in meinem Bauch, als er sich mir zugewandt hat, um mich zu küssen -, aber es sind auch einige recht schmerzhafte darunter.
Meine Gedanken wandern zu dem wütenden Streit zwischen Spike und mir zurück. Aber wie gesagt, ich kann nichts mehr daran ändern. Ich muss einfach versuchen, es zu vergessen.
Eine halbe Stunde später, nachdem ich mit dem als Kissenersatz unters Kinn geklemmten Pullover unruhig auf meinem Sitz herumgerutscht bin, gebe ich den Versuch auf, wie alle anderen einzudösen. Es ist unmöglich. Mir geht zu viel im Kopf herum. Ich richte mich auf, krame mein Stolz und Vorurteil aus der Tasche und schlage es an der Stelle mit dem
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