Ein Mann wie Mr Darcy
Fähigkeit, Smalltalk zu betreiben, schlagartig verschwunden zu sein scheint.
»Allerdings«, ereifert sie sich und tritt neben mich. Aus dem Augenwinkel werfe ich einen Blick auf sie, auf ihre zarten Gesichtszüge, die Löckchen, die unter der zu ihrem Muff passenden Pelzmütze hervorlugen. Sie erinnert mich tatsächlich an irgendjemanden. Die ganze Woche habe ich mir den Kopf darüber zerbrochen, aber mir will nicht einfallen, an wen.
»Und, haben Sie Ihre Literaturliebhaberreise genossen, Miss Albright?«, fragt sie unvermittelt und ertappt mich dabei, wie ich sie anstarre.
»Oh ja.« Ich nicke und wende schnell den Blick ab. »Es war -«
Ich suche nach der passenden Bezeichnung. Hm, wie könnte man die Achterbahnfahrt dieser Woche zusammenfassen? Gibt es überhaupt ein Wort dafür?
»Interessant«, bringe ich schließlich heraus.
Miss Staene scheint mit der Antwort zufrieden zu sein.
»Was hat Ihnen am besten gefallen?«
Ich zögere. Bis vor Kurzem hätte ich entschieden »Mr. Darcy« gesagt. Na schön, gesagt wohl kaum, aber ich hätte es zumindest gedacht. Aber jetzt? Inzwischen bin ich mir nicht mehr so sicher. Alles ist so durcheinander, so verwirrend, dass ich nicht mehr weiß, was ich denken soll.
»Ähm … einfach alles«, sage ich schließlich. »Es war alles toll.«
»Und haben Sie Mr. Hargreaves E-Mail gelesen?«
»Ja«, antworte ich, bevor mir aufgeht, was sie mich gerade gefragt hat. Ich wende mich ihr zu und sehe sie scharf an. Miss Staene erwidert meinen Blick. Ihre Augen glänzen in der Wintersonne. »Woher wussten Sie -«
»Woher ich wusste, dass er Ihnen geschrieben hat?«, beendet sie meinen Satz und lächelt. »Ich habe ihm Ihre E-Mail-Adresse gegeben.« Kurze Pause. »Ich hoffe, es macht Ihnen nichts aus.«
Einen Moment lang sage ich nichts, sondern lasse die Information auf mich wirken. »Nein, natürlich nicht.« Ich schüttle den Kopf. »Hat er Ihnen erzählt, was passiert ist? Was er in den Brief schreiben wollte?«, frage ich dann, mit einem raschen Seitenblick auf sie.
»Nein. Ich habe ihn nicht danach gefragt, und er hat es mir nicht gesagt.« Einen Moment lang sieht sie mir gedankenverloren in die Augen, ehe sie fortfährt.
»Vorurteile können schrecklich sein, Emily. Ebenso wie Stolz«, sagt sie leise und mustert mich nüchtern. »Sie wissen ja, Jane Austen hat ihre Heldinnen immer recht resolut gestaltet. Sie beharrten auf ihren Prinzipien, verfolgten ihre Ziele, fürchteten sich nicht davor, zuzugeben, wenn sie sich geirrt hatten.« Ihre Augen blitzen. »Nichts zu tun, kann schlimmer sein, als etwas Falsches zu tun.«
Ich sauge ihre Worte auf. Sie hallen in mir wider. Ich drehe und wende sie im Geiste hin und her, denke darüber nach und hätte wahrscheinlich auch etwas darauf erwidert, wäre meine Aufmerksamkeit nicht auf etwas gelenkt worden: Es sieht aus, als würde jemand im See schwimmen.Was natürlich völlig unmöglich ist. Es ist Januar. Ich runzle die Stirn und kneife die Augen zusammen, um besser zu sehen. Der Schwimmer hievt sich aus dem Wasser. Meine Güte, er hat ja noch seine Kleider an. Dieser Kerl muss doch erfrieren! Sogar von hier aus sind seine Brustwarzen zu erkennen, durch das weiße durchnässte Hemd, das an seinem Oberkörper klebt -
Heiliges Kanonenrohr. Die berühmte See-Szene. Nur, dass es nicht Colin Firth ist …
»Das ist Mr. Darcy«, stoße ich atemlos hervor, bevor ich es verhindern kann.
Kaum sind die Worte über meine Lippen gekommen, schlage ich mir die Hand vor den Mund und wünschte, ich könnte die Worte wieder dorthin zurückstopfen, wo sie hergekommen sind.Verdammt! Ich und meine große Klappe. Meine Reiseleiterin muss mich für vollkommen durchgeknallt halten.
Ich sehe Miss Staene verstohlen an, doch sie hat sich nicht gerührt. Stattdessen steht sie seelenruhig neben mir. Sie wendet sich mir zu, während ein leichtes amüsiertes Lächeln ihre Lippen umspielt. »Ich sage es nur ungern, aber er ist nicht zu vergleichen mit Colin Firth, was?«
»Nein, allerdings nicht!«, erwidere ich lachend – und erstarre.
Was zum -?
Hat sie gerade -?
Völlig verdattert öffne ich den Mund, doch es dringt kein Laut hervor, während eine Million Fragen auf mich einprasseln.
Aber ich habe jetzt keine Zeit, auch nur einige davon zu stellen. Ich muss mit Mr. Darcy sprechen, bevor er wieder verschwindet. Schnell blicke ich zurück zum See. Mist, er marschiert schon über die gepflegten Rasenflächen.
»Ich muss weg«, stoße ich hervor
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