Ein Mann wie Mr Darcy
schiebt sich das Bild in meine Erinnerung, wie ich beim Ladendiebstahl erwischt wurde, und werde unruhig. Oh, bitte, hoffentlich steht das nicht im Vorstrafenregister, und sie haben es in einer internationalen Datenbank gefunden. Okay, damals war ich erst elf, und es waren Barbie-Kleider, aber trotzdem. Ich habe eine kriminelle Vergangenheit.
Ich fange an, mit den Schneidezähnen an den Hautschüppchen auf meiner Oberlippe zu nagen, was ich nur tue, wenn ich nervös bin, was ich aber lieber unterlassen sollte, weil meine Lippen dann immer anfangen zu bluten.
Sie fangen an zu bluten.
»Was für eine Art Reise?«, fragt die Beamtin und hört für einen Augenblick auf, durch meinen Reisepass zu blättern. Beim Anblick meines Passfotos verzieht sie das Gesicht. Was denn? So schlimm ist es nun auch wieder nicht … Sie nimmt ihre Tätigkeit an der Tastatur wieder auf.Was um alles in der Welt tippt sie da? Einen Essay? Einen Polizeibericht?
Mein Magen vollführt einen Sturzflug.
»Es ist eine Sonderreise für Literaturliebhaber«, krächze ich, und meine Stimme klingt seltsam hoch. Ich räuspere mich, schlucke ein paar Mal. »Eine Woche auf dem Land, während wir die Welt von Stolz und Vorurteil erkunden«, ergänze ich lahm.
Als ob sie das interessieren würde.
»Stolz und Vorurteil?«, wiederholt sie scharf, ohne aufzusehen. Ihre Finger erstarren über der Tastatur. »Haben Sie gerade Stolz und Vorurteil gesagt?«
Die Worte scheinen die Einwanderungsbeamtin förmlich elektrisiert zu haben.
»Äh, ja«, antworte ich mit einem unsicheren Nicken.
Sie schaut auf, ihr Gesicht glüht vor Aufregung. »Ach du liebes Bisschen, ich fasse es nicht! Ich liebe dieses Buch!«, quiekt sie. Die Hände auf ihre Polyesterbrust gepresst, strahlt sie vor Begeisterung. »Ich habe gerade erst die Verfilmung mit Keira Knightley auf DVD gesehen. Wunderschön, nicht wahr?«
Ich bin vollkommen sprachlos angesichts ihrer Verwandlung. »Äh, ja...«, stammle ich.
Sie lässt sich auf ihrem Stuhl zurücksinken, öffnet den oberen Knopf ihrer Bluse und fängt an, sich mit meinem Reisepass Luft zuzufächeln. »Und dieser Mr. Darcy.« Sie verdreht die Augen und wirft mir einen lüsternen Blick zu. »Blanker Sex!« Sie beugt sich vor und zwinkert mir verschwörerisch zu. »Ich sag Ihnen was – den würde ich nicht von der Bettkante schubsen«, flüstert sie kichernd.
Ich starre sie verblüfft an. Ich weiß, dass Mr. Darcy auf Frauen wirkt, aber das ist einfach unglaublich.
Einige Minuten später duzen wir uns bereits, und June erzählt mir alles über ihre kürzliche Scheidung von ihrem Mann Len, über ihren Entschluss, zwischen den Jahren zu arbeiten, und wie sehr sie es bedauert, nichts von der Reise gehört zu haben …
»… es hört sich so herrlich an, Schätzchen«, schwärmt sie und lächelt mich warmherzig an, als sie mir den Reisepass zurückgibt. »Wie viel lieber würde ich die Feiertage mit Mr. Darcy verbringen, statt mit Unmengen von Asylsuchenden, das kann ich gar nicht sagen.Vielleicht nächstes Jahr, was?«
»Wenn du willst, kann ich dir ja erzählen, wie es war«, biete ich bereitwillig an.
»Oh, würdest du das tun?« June lächelt und kritzelt etwas auf ein Blatt Papier. »Hier ist meine E-Mail-Adresse.«
Als ich es entgegennehme, drückt sie meine Hand. »Ich wünsche dir eine schöne Reise.«
»Danke, June.« Lächelnd stecke ich den Pass ein. Zum Abschied winke ich, nehme meinen Rollkoffer und passiere erleichtert den Zollbereich. Am Ausgang bleibe ich einen Moment lang stehen und werfe einen Blick über die Schulter – gerade noch rechtzeitig, um zu hören, wie June »Nächster« bellt, während ihr Lächeln zu jener furchteinflößend strengen Miene erstarrt, als sie den nächsten nervösen Reisenden zu sich zitiert. »Wie lange werden Sie sich im Vereinigten Königreich aufhalten?«
Ich lächle.Vielen Dank, Mr. D.
Als ich durch den Ausgang trete, werde ich von Unmengen von Menschen begrüßt, die über die Absperrungen lehnen und mit gespannter Vorfreude darauf warten, dass ihre Angehörigen auftauchen. Alles ist mit Weihnachtsdekoration, Lametta und Lichterketten geschmückt, und aus den Lautsprechern tönen Weihnachtslieder, während Gesprächsfetzen mit britischem Akzent an meine Ohren dringen, wie bei einem neu eingestellten Radio, das die einzelnen Sender auffängt.
»… Oh, meine Liebe, du siehst umwerfend aus mit dieser Bräune. Sieht sie nicht umwerfend aus mit dieser Bräune, David? Hier war
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