Ein Mann wie Mr Darcy
fester. »Abgesehen davon, dass es eine Lüge ist, richtig?«, schnieft sie. Mit einem Mal scheint sie wütend auf sich selbst zu sein. »Ich hatte die Wahl. Ich hätte Nein sagen können. Ich hätte mit ihr weglaufen können. Einen Platz zum Leben finden. Arbeit. Ich war feige.«
»Nein, waren Sie nicht«, rufe ich entrüstet. »Damals waren die Zeiten anders. Sie dürfen sich keine Vorwürfe machen!«
»Warum nicht?«
»Weil Sie sich nicht ständig selbst bestrafen können. Sie haben das Beste getan, was Sie konnten.«
»Aber habe ich das? Habe ich das wirklich getan?«, fragt sie, und mit einem Mal ahne ich die Schuldgefühle, die sie all die Jahre mit sich herumgetragen hat. »Alles, was sie hatte, war ich. Ihr Vater hat sie im Stich gelassen, und dann ich auch noch.« Ihre Lippe beginnt zu beben. Sie beißt sich darauf. »Ich schäme mich so sehr für das, was ich getan habe. Ich habe es ganz einfach nicht verdient, jemals wieder glücklich zu sein. Ich habe etwas Schreckliches getan, Emily. Ich habe es verdient, bestraft zu werden.Wahrscheinlich hasst sie mich, und ich kann es ihr nicht einmal verdenken.«
»Das wissen Sie doch gar nicht«, widerspreche ich.
Maeve schnieft laut. Ihr Blick ist immer noch auf die Kinder gerichtet, die den Schneemann bauen.
»Haben Sie sich je überlegt, nach ihr zu suchen?«, frage ich sanft.
Sie antwortet nicht.
»Einmal«, sagt sie schließlich leise. »Als sie 18 geworden ist, aber -« Sie bricht ab und schüttelt den Kopf, als falle es ihr schwer, weiterzusprechen. »Ich träume von ihr, wissen Sie. Ich stelle sie mir vor und versuche mir auszumalen, wie sie wohl sein mag.Wie es wäre, eine Tochter zu haben, die Mutter von jemandem zu sein.« Sie wendet sich mir zu, ihre blauen Augen suchen meine. »Sie und Ihre Mutter haben es sehr gut. Sie haben einander.«
Ich denke an meine Mutter.Wir hatten nie diese konventionelle Mutter-Tochter-Beziehung, und nun, da ich Maeve zuhöre, komme ich mir betrogen vor. Ich meine, Maeve würde alles darum geben, auch nur mit ihrer Tochter reden zu dürfen, während meine Mutter sich nur selten die Mühe macht, mich zu besuchen oder auch nur den Hörer in die Hand zu nehmen.
Allerdings bist auch du nicht ganz unschuldig daran, Emily, oder etwa nicht? Wann hast du sie das letzte Mal gefragt, wie es ihr geht, und hast dich auch wirklich für die Antwort interessiert, statt dich mit dem obligatorischen ›gut‹ zufrieden zu geben?
»Wissen Sie, meine Mutter und ich stehen uns nicht sehr nahe«, vertraue ich Maeve an. »Wir sprechen nicht sonderlich viel miteinander.«
»Nein?«, meint Maeve. »Aber warum denn?«
Ich denke über ihre Frage nach. Ich habe sie mir selbst über die Jahre unzählige Male gestellt und nie eine Antwort gefunden. »Ich weiß es nicht«, antworte ich achselzuckend. »Ich erinnere mich, dass ich früher mehr Zeit mit ihr verbracht habe, wir hatten Spaß zusammen, aber als ich älter wurde …« Ich verstumme. »Sie war immer so mit ihrer Karriere beschäftigt, mit ihrer Wohltätigkeitsarbeit, Reisen, Dad, mit meinem Bruder – ich wollte sie nicht mit all den Banalitäten belästigen, die in der Schule passiert sind, oder mit irgendwelchen Problemen mit Jungs. Stattdessen habe ich all diese persönlichen Dinge meinen Freunden anvertraut. Das tue ich immer noch.«
»Aber sie hätte all diese Dinge gewiss gern mit Ihnen geteilt. Sie hätte sie nicht für banal gehalten. Wenn sie Ihnen wichtig waren, wären sie es für sie ebenfalls gewesen.«
Ich lächle. »Sie kennen meine Mutter nicht.«
»Sind Sie sicher, dass Sie sie kennen, Emily?«
Ich stutze. Zum ersten Mal habe ich das Gefühl, als würde ich meine tief verwurzelte Meinung über meine Mutter in Frage stellen.
»Haben Sie sie je gefragt? Haben Sie versucht, mit ihr darüber zu sprechen? Diese Art von Dingen mit ihr zu teilen? Ihr zu vertrauen?«, fährt Maeve fort. »Sie wären vielleicht überrascht gewesen. Möglicherweise ist sie ebenso gekränkt wie Sie.«
»Ich bin nicht gekränkt«, protestiere ich schnell.
»Wirklich nicht?«, fragt Maeve ruhig. »Ich habe gelernt, dass Menschen nicht immer sagen, was sie empfinden, und dass andere deshalb eine Menge Vermutungen anstellen, ohne die Wahrheit zu kennen. Manche Menschen sind so gut darin, ihre Gefühle zu verbergen und so zu tun, als wäre alles in Ordnung, dass sie sich schon beinahe selbst davon überzeugen …«
Während ich Maeve zuhöre, kann ich nicht länger sagen, ob sie über mich
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