Ein Mann wie Mr Darcy
sie.«
Ich sehe Maeve an. Ihre Augen hinter den dicken Brillengläsern sind feucht, und ich möchte irgendetwas sagen, um sie zu trösten, aber mir fällt nichts ein. All die üblichen Bemerkungen kommen mir so abgedroschen vor. All diese Trauer, die sie mit sich herumgetragen hat. Ich kann mir nicht einmal ansatzweise vorstellen, was sie durchgemacht haben muss.
»Ich frage mich, wo sie wohl sein mag, was sie macht, ob sie inzwischen schon eigene Kinder hat...«, fährt Maeve leise wie zu sich selbst fort.
Ich bin verwirrt.
»Sie ist erwachsen?«
Maeve nickt. »Sie wird dieses Jahr 37.« »Aber ich dachte … wie Sie das gesagt haben …« Ich verstumme.
»Dass sie gestorben ist?«, beendet Maeve den Satz und lächelt traurig. »Nein«, sagt sie und schüttelt den Kopf. »Ich habe sie zur Adoption freigegeben. Ich war diejenige, die an dem Tag gestorben ist.« Sie sieht mir ins Gesicht, und als sie merkt, dass ich nichts verstehe, fügt sie leise hinzu: »In dem Augenblick, als ich sie weggegeben habe.«
Plötzlich ergibt alles einen Sinn. Diese Traurigkeit, die ständig auf Maeve zu lasten scheint. Maeve ist in Trauer. Sie hat nicht nur eine Tochter verloren, sondern auch sich selbst.
»Freigegeben. Das hört sich so leicht an, nicht wahr?« Maeve schluckt schwer und sieht mir ins Gesicht. Ich bemerke das Glitzern in ihren Augen. »Es war das Schwerste, was ich jemals tun musste. Es hat mir das Herz gebrochen.«
Ich lege meine Hand auf ihren Arm und drücke ihn tröstend. So viele Fragen würde ich ihr gern stellen, doch ich habe das Gefühl, dass Maeve dieses Geheimnis schon lange, lange Zeit mit sich herumgetragen hat und es nun gern preisgeben möchte. Also höre ich einfach zu, während sie weiterspricht.
»Er hieß Seamus. Ich habe ihn auf dem Jahrmarkt kennen gelernt. Er hatte langes, schwarzes Haar. Blaue Augen. Messerscharfe Wangenknochen. Und die schönsten Hände – lange, schmale Finger, weiche, helle Haut. Ich hatte noch nie solche Hände gesehen. Männerhände waren immer rau und schwielig und voller eingewachsenem Schmutz von der Feldarbeit.«
Ohne zu zögern, fängt sie an, die ganze Geschichte zu erzählen, während sie ins Leere starrt.
»Aber er war Maler. Landschaften waren sein Thema. Große, dunkle Leinwände, die sich in seiner kleinen Mietwohnung stapelten.« Sie verstummt, und ich sehe, dass sie in der Vergangenheit verweilt, mit ihm, in seiner Wohnung, all diese Gefühle wieder durchlebt, die sie für ihn empfunden hat. »Ich hatte noch nie jemanden wie ihn kennen gelernt. Mein ganzes Leben lang hatte ich auf einem Bauernhof gelebt, wusste nicht, was ein Hippie war. Ich wusste überhaupt nichts. Ich war so naiv.«
Sie schüttelt ungläubig den Kopf.
»Er hat mir erzählt, dass er mich liebt, und ich habe ihm geglaubt. Alle haben mich vor ihm gewarnt, aber ich wollte nicht darauf hören.Was wussten die schon? Ich war jung und dickköpfig und unbesiegbar. Und ich war verliebt.«
Beim Anblick der Maeve, die ich kennen gelernt habe, fällt es mir schwer, sie mir als starke, energiegeladene und selbstbewusste Frau vorzustellen.
»Aber dann wurde ich schwanger. Und da hat er mich auf einmal nicht mehr geliebt«, sagt sie einfach.
Ich schweige einen Moment, dann kann ich mir die Frage nicht länger verkneifen. »Was ist aus ihm geworden?«
»Keine Ahnung«, erwidert sie und zuckt die Achseln. »Er hat die Stadt verlassen. Ist abgehauen. Und da stand ich nun: 18 Jahre alt, unverheiratet und schwanger. Mit einem Mal war ich nicht mehr so unbesiegbar.«
Sie lächelt wehmütig.
»Der Priester hat gesagt, ich hätte Schande über meine Familie gebracht. Mein Bruder hat mich rausgeworfen. Ich hatte kein Dach über dem Kopf. Keine Arbeit. Ich hätte ein Baby nicht ernähren können -«
Ich versuche, mich in ihre Lage zu versetzen, aber es gelingt mir nicht. Meine Eltern würden mich nie wegen so etwas vor die Tür setzen. Die Zeiten haben sich geändert. Unverheiratet schwanger zu werden ist nichts Besonderes mehr, sondern mittlerweile fast an der Tagesordnung. Wie traurig, dass etwas, das einem heute bestenfalls ein müdes Achselzucken entlockt, so verheerende Folgen für sie hatte. Arme Maeve. Mein Gott, wie verängstigt und einsam muss sie gewesen sein! Kein Wunder, dass sich ihr Selbstwertgefühl praktisch in Luft aufgelöst hat.
»Ich hatte keine Wahl«, sagt sie jetzt und wischt eine einzelne Träne fort, die langsam über ihre Wange kullert. Ich drücke ihren Arm noch
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