Ein Mann will nach oben
eifersüchtig!«
»Nein, nein, Rieke«, sagte jetzt auch Karl Siebrecht besänftigend. »So ist das nun doch nicht. Ich glaube schon, daß sich Kalli aufrichtig Sorgen um dein Glück macht. Vielleicht hat er wirklich recht, vielleicht bin ich egoistisch, und du wirst mit mir unglücklich –«
»Und wat jeht den det an?!« rief Rieke zornig. »Det is allein meine Sache, ob ick mit dir jlücklich oder unjlücklich werde! Da laß ick mir auch von meine besten Freunde nich reinfummeln! Ick will lieba mit dir zehnmal unjlücklich sin als mit ihm eenmal jlücklich! Jeh doch los, werde doch wat Jrosset, laß mir doch zu Hause sitzen – det is mir allens recht! Jetzt ha ick dir, jetzt halt ick dir – und wat danach kommt, det wird mir auch nich umschmeißen! Danach frage ick nich!« Und damit warf sich Rieke plötzlich aufschluchzend in die Arme von Karl, der sie fest, fest an sich drückte, gerührt und erschüttert. Über dem Scheitel des weinenden Mädchens aber begegneten sich die Blicke der beiden Freunde: Karl Siebrechts Auge hell,etwas lächelnd, ein wenig verlegen; Kallis Blick unbeirrbar ernst und mahnend.
Dann sagte Kalli: »Also denn tjüs, ich muß zu meinem Taxi!« Und er ging, leise nickend.
66. Der Taxichauffeur
Am 2. Januar 1920 heirateten Friederike Busch und Karl Siebrecht.
Große Erschütterungen, große Überraschungen brachte die junge Ehe beiden nicht. Sie kannten sich nun schon so lange Jahre, es gab nichts Neues mehr zu entdecken. Es war ein stilles Glück … Sie durften nun zärtlich zueinander sein, es war schön, einander liebzuhaben.
In diesen immer graueren, stets wirreren Tagen war Rieke das stetige Licht. Karl konnte noch so verzagt nach Hause kommen, sie heiterte ihn auf. Sie vollbrachte Wunder mit dem bißchen Geld, das sich immer rascher entwertete. Es war ihr Stolz, daß »ihre Männer« alle Tage Fleisch bekamen, und sie füllte ihnen die Thermosflaschen, die sie auf ihre Fahrt mitnahmen, mit Bohnenkaffee. Vielleicht war der von Kalli Flau ein bißchen dünner, sein Fleischstück etwas kleiner als das von Karl, aber das geschah ohne Absicht. Rieke selbst trank nur zweiten Aufguß und behauptete, Fleisch widerstehe ihr … Die Hauptsache blieb Karl. Er mußte bei guter Laune gehalten werden. Am Tage nach der Hochzeit hatte er sich zum ersten Male in das Taxi gesetzt und seine neue Tätigkeit begonnen. Die Erfahrung war ganz neu für ihn, daß Kalli Flau tüchtiger als er war, jedenfalls als Taxichauffeur: Kallis Einnahmen waren meist doppelt so hoch! Zuerst glaubte Siebrecht, es liege daran, daß Kalli des Nachts fuhr und er am Tage, Betrunkene gingen eben leichtsinniger mit dem Geld um.
Sie tauschten. Aber es zeigte sich, daß Karl Siebrecht nicht der richtige Mann war, dies Nachtpublikum zu fahren. Betrunkene, die seinen Wagen beschmutzten, warf er zornentbranntheraus, während Kalli eine Sondertaxe von ihnen erzwang. Er behauptete, keine Adressen von Spielklubs und Nackttanzlokalen zu kennen, und nie half er einem Fahrgast, der schwach auf den Beinen war, mit seinem Mädchen in ein zweifelhaftes Hotel. Er war kein Sittenrichter, o nein, er entrüstete sich nicht moralisch. Dafür hatte er zu lange in Berlin gelebt, es gab so vielerlei Menschen, sie konnten nicht alle wie Karl Siebrecht leben und denken. Aber dieser ganze Betrieb ekelte ihn an, und dieser Ekel war unüberwindlich. Er kam aus dem Kriege, nie konnte er sich an den Gedanken gewöhnen, daß aus soviel Opfern soviel Schmutz geworden war. So wurde seine Nachtkasse noch schlechter als seine Tageskasse. Wieder tauschten sie. Kalli Flau war alles recht, Kalli verdiente immer Geld, er war es, der auch die Devisen nach Hause brachte. Rieke nähte, so verdienten alle drei, sie hatten genug zu essen, sie konnten sich anständig kleiden, sie schafften wieder etwas für die Wohnung an, nun war auch Kallis Zimmer keine Rumpelkammer mehr.
Aber in der Hauptsache verdienten Rieke und Kalli das Geld, er, Karl Siebrecht, der Kopf dieser kleinen Gemeinschaft, war sein Geld nicht wert, er verdiente nicht, was Rieke ihm auf den Teller legte! Wie ihn das wurmte, wie ihn das immer böser auf den verhaßten Beruf machte! Nun fuhr er wieder zwischen den Bahnhöfen, von und zu den Bahnhöfen, und wenn ein bekannter Gepäckträger ihm Koffer in das Auto reichte, fragte er immer dringender: »Na, wird’s noch nicht besser? Kann ich nicht bald wieder anfangen?«
Und wenn dann der Mann den Kopf schüttelte: »Besser? Schlimmer wird’s,
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