Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein Mann will nach oben

Ein Mann will nach oben

Titel: Ein Mann will nach oben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
Vom Netzwerk:
seinem Leben hatte er das Gefühl, mit einem Menschen zu sprechen, der nur die Wahrheit wollte, nichts als die nackte, unverhohlene Wahrheit. Er wußte, sie würde ihn bei der ersten Lüge ohne ein weiteres Wort stehenlassen und gehen. – »Nun, warum wollten Sie mich nicht anrufen?«
    »Ich wollte mir nicht gerne von Ihnen helfen lassen. Ich dachte –«
    »Halt! In was kann ich Ihnen denn helfen?«
    »Sie haben mir damals gesagt –« o Gott, war das schwer, die ganze Wahrheit zu sagen! – »Ihr Vater sei bei der Eisenbahndirektion.Ich brauche irgend jemand, der bei der Direktion ein gutes Wort für mich einlegt.«
    »Gut«, sagte sie. »Gut.« Er hörte sie tief aufatmen. »Und Sie haben gedacht, ich habe mich in Sie verliebt, und darum wollten Sie nicht?«
    »Ja«, sagte er. »Darum wollte ich nicht …« Er zitterte davor, daß sie nun fragen würde, warum er nun gerade heute doch angerufen habe. Er konnte ihr doch nichts von diesem leichtsinnigen Ratschlag des Rittmeisters sagen! Aber an diese Frage dachte sie jetzt nicht.
    »Gut«, sagte sie wieder. »Da ist eine Bank. Setzen wir uns, und erzählen Sie mir, für was Sie meines Vaters Hilfe brauchen.« Als er aber anfing, ihr von der jetzigen Lage auf den Bahnhöfen zu erzählen, schüttelte sie ungeduldig den Kopf. »Nein!« sagte sie. »So interessiert mich das nicht. Erzählen Sie mir alles von Anfang an. Ich will wissen, wie Sie darauf verfallen sind, was Sie vorher getan haben. Ich will alles wissen, sonst verstehe ich nichts.«
    »Das würde ein langer Bericht, Fräulein Eich«, sagte er zögernd. »Ich fürchte, Sie werden nicht soviel von Ihrer Nachtruhe opfern wollen.«
    »Um meine Nachtruhe machen Sie sich keine Sorgen. Ich werde schon halt sagen, wenn es mir langweilig wird.« Aber sie sagte nicht halt. Im Gegenteil, sie fragte manchmal nach Einzelheiten, sie hatte eine untrügliche Witterung dafür, wenn er etwas ausgelassen oder flüchtig erzählt hatte. »Nein«, sagte sie dann. »So kann es nicht gewesen sein. Sie haben da etwas vergessen – erinnern Sie sich!«
    Und gehorsam erinnerte er sich. Zu keinem Menschen hatte er je so offen gesprochen wie zu diesem blutjungen Mädchen. Er versuchte, sich ihrer zu erinnern, wie sie damals bewußtlos auf dem Flur lag, so häßlich betrunken! Dann an die Szene, da Rieke sie beschimpft hatte. Aber das alles verging, es war nie recht deutlich gewesen, nun war es schon vorbei – Traum in Nacht versunken. Wirklich waren nur diese dunklen Augen, die sich immer wieder in brennender Anteilnahmeauf ihn richteten, wirklich war dieser Mensch, der an seiner Seite saß, der sich nichts ersparen wollte, der aber auch nicht wollte, daß sich andere etwas ersparten, ein schwerer, glühender Mensch. Stunde um Stunde verging, zu Anfang waren noch Liebespaare an ihnen vorbeigekommen, manche hatten sich auf die freie Bankhälfte gesetzt. Dann hatte er ganz nahe an ihrem Gesicht gesprochen, nur geflüstert.
    Plötzlich stand sie auf. »Genug!« sagte sie. »Bringen Sie mich zurück zum Zoo. Sie sollen Ihren letzten Stadtbahnzug noch bekommen.«
    Diesmal ging sie nicht eilig, sie blieb sogar wieder auf dem Wehr stehen, und wieder warf sie entschlossen den Kopf zurück. »Wahrheit um Wahrheit«, sagte sie und lächelte. »Nein, ich bin nicht verliebt in Sie, Herr Siebrecht. Sondern ich weiß, ich liebe Sie. Aber ob je etwas daraus werden wird –?«
    Sie sah ihn mit einem seltsamen Lächeln an. »Was meinen Sie –?« Sie wartete seine Antwort nicht ab. Plötzlich ging sie schon wieder, und als er etwas sagen wollte, rief sie ungeduldig: »Nein, Sie sollen nicht reden! Für heute nacht ist genug geredet.« Am Bahnhof gab sie ihm flüchtig die Hand. »Sagen Sie mir rasch Ihre Adresse. Ihr Zug kommt gleich!« – Er sagte sie, und sie wiederholte die Adresse. – »Ich werde mit meinem Vater reden. Ich schreibe Ihnen dann einen Rohrpostbrief. Verstehen Sie mich recht: ich verspreche Ihnen nichts. Ich verspreche Ihnen nicht einmal, daß wir uns wiedersehen.« Und plötzlich: »Gute Nacht!«
    Sie stieg, ohne sich noch einmal umzusehen, in ein Taxi, sie fuhr fort. Er sah ihr so lange nach, daß unterdes sein Zug fortgefahren war. Es war ihm nur recht, er ging gerne durch den Tiergarten nach Hause. Und während dieses Weges dachte er nur daran, daß er ihr die volle Wahrheit sagen mußte. Er hatte ihr noch nichts von Gerti erzählt, er hatte ihr auch noch nicht gesagt, warum er sie heute angerufen hatte. Er war es ihr schuldig.

Weitere Kostenlose Bücher