Ein Mann will nach oben
und wenn der letzte Zug gefahren war, wenn der letzte Lastwagen in seiner Garage verschwunden war, eilte er auf das Büro am Potsdamer Platz. Dort erwartete ihn Herr Körnig, grau, sorgenvoll, aber eifrig. Briefe wurden diktiert, Gehaltsfragen besprochen, Geldeingänge geprüft, die ersten noch so ungewissen Kalkulationen aufgestellt. Vorläufig arbeitete die Firma noch mit Verlust, aber vorläufig fuhr auch noch die ganze Konkurrenz, der Vertrag mit der Bahn war noch nicht abgeschlossen.
»Wir müssen an Gehältern und Löhnen sparen, was wir nurkönnen, Herr Körnig«, sagte er immer wieder. »Jeder Groschen Stundenlohn, den wir nur herausholen können, muß rausgeholt werden. Das Geld ist entsetzlich knapp.«
Herr Körnig neigte beistimmend sein graues Haupt. »Und trotzdem muß ich unbedingt noch eine Dame hier fürs Büro haben«, sagte er kummervoll. »Eine Lohnbuchhalterin, die auch ein bißchen was von Kalkulation versteht.«
Auch der Herr Direktor Siebrecht seufzte kummervoll. »Ich will es mir überlegen, Herr Körnig. Wenn es unbedingt sein muß. Aber zwei oder drei Tage geht es wohl noch so?«
»Es muß eben gehen«, antwortete Herr Körnig ergeben. »Vergessen Sie es nur nicht, Herr Direktor!«
Karl Siebrecht vergaß es nicht, das Schicksal selbst half ihm. Denn ein oder zwei Tage später meldete ihm Herr Körnig: »Eine Dame wartet auf Sie schon seit zwei Stunden. Sie sagt, sie kennt Sie, sonst hätte ich sie hier gar nicht sitzen lassen in der Nacht.«
Siebrecht eilte hastig zu der wartenden Dame. Immer wenn ihm in diesen Wochen eine wartende Dame gemeldet wurde, dachte er an Hertha Eich. Aber auch diesmal war sie es nicht, die da in der Nacht auf ihn wartete, aber es war wirklich eine alte gute Bekannte, es war die Palude!
Die Palude, jetzt grauhaarig, aber mit zeitgemäßem Herrenschnitt, erhob sich, schüttelte ihm die Hand und sagte: »Ich habe in der Handelszeitung von der Gründung Ihrer Firma gelesen, Herr Siebrecht. Da wollte ich mich doch einmal nach Ihnen umsehen. Aber so fein wie jetzt haben wir es damals nicht gehabt!«
»Dafür haben wir heute noch mehr Sorgen als damals, Fräulein Palude, Das Geld ist entsetzlich knapp.« – Siebrecht hatte schon entdeckt, daß er diesen Satz ein wenig häufig gebrauchte. Er drückte präzis seine Hauptsorge aus. – »Und wann fangen Sie wieder an, bei uns zu arbeiten? Wir brauchen gerade eine tüchtige Lohnbuchhalterin, die auch ein wenig Ahnung von den Gepäcktarifen hat!«
Fräulein Palude lachte, sie versicherte, deswegen wäre sienicht gekommen. Aber sie ließ mit sich reden, die alte Anhänglichkeit zog. Sie sträubte sich eine Weile, dann sagte sie ja. Sie konnte es sogar zu Herrn Körnigs Erleichterung so einrichten, daß sie schon vor dem Ersten eintrat, und vorher schickte sie noch einen Getreuen aus der Eichendorffstraße, den rothaarigen, sommersprossigen Lehrling Bremer. Der war nun freilich längst kein Lehrling mehr, er hatte den ganzen Krieg mitgemacht. In der Inflation hatte er eine Wechselstube besessen und war ein recht vermöglicher Mann gewesen. Dann aber hatte er nicht an den Bestand der Rentenmark geglaubt und hatte auf Baisse spekuliert, wobei er alles verlor. Nun war er gerade wieder dabei, von vorn anzufangen wie so viele. – Er war noch immer rothaarig und sommersprossig, aber er war ein scharfäugiger, kühler Mann geworden, einer jener Geschäftsleute etwas amerikanischen Typs, die nicht viel von Gefühlen belästigt werden. Der geborene Personalchef, dachte Karl Siebrecht. Mein künftiger Personalchef. Und er stellte den Egon Bremer ein, mit einem Monatsgehalt, das Herrn Körnig zuerst entsetzte. Er sah aber bald, daß dieser Mann sein Geld wert war. Unermüdlich war Bremer im Geschäftslaubfrosch unterwegs, kontrollierte die Autos, die Gepäckstellen, die Abrechnungen, genierte sich keine Minute, auch einmal als Chauffeur für einen Erkrankten einzuspringen, tippte nach Büroschluß stundenlang Aufstellungen – und war immer gleichmäßig kühl, sachlich, gut gelaunt, etwas hundeschnäuzig.
Wieviel alte bekannte Gesichter um Karl Siebrecht wiederauftauchten aus seiner früheren Glückszeit! Manchmal hielt er inne, und ihm war ganz so, als sei alles dazwischen nur ein langer böser Traum gewesen, Krieg und Inflation, als sei er jetzt erst wieder heimgekehrt. Aber zwei Gesichter fehlten unter den bekannten: die geliebtesten und getreuesten. Er seufzte und ging wieder an die Arbeit. Nein, er war nicht mehr
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