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Ein Mann will nach oben

Ein Mann will nach oben

Titel: Ein Mann will nach oben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
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aber sie hatte nicht das Bedürfnis gehabt, ihn wiederzusehen. Wie verschieden sie beide doch waren! Mit den Schlössern kam er trotz der lichtvollen Erklärungen der Portiere nicht zurecht. Lange klapperte er mit den Schlüsseln, immer in der Befürchtung, die Tür gegenüber könne sich auftun, und er stand vor seinen Nachbarn wie eine Art Einbrecher da. Schließlich entdeckte er, daß die Tür offen war, und er trat in seine Wohnung ein, die erste eigene seines Lebens … Ach, auch dies ist wieder keine eigene Wohnung, dachte er ein wenig bitter. Damals war es Riekes Wohnung, heute …
    Er sah sich einen Augenblick im Vorraum um, er nickte langsam. Wenig Möbel nur, ein paar Stahlrohrsessel, ein paar Farbenholzschnitte – jawohl, er war jetzt der Direktor des Berliner Bahnhof-Eildienstes, so hatte der Vorraum eines solchen Mannes auszusehen. Der verhungerte Junge des märkischen Maurermeisters war dort angekommen, wohin er sich vor fünfzehn Jahren geträumt hatte – aber wie anders war er in seinen Träumen angekommen …
    Er hängte seinen Hut auf einen Haken, den Mantel dazu, einen flüchtigen Blick warf er auf sich im Spiegel. Er rückte an seinem Anzug, an dem Schlips. Ja, es war eine Schande, daß er noch immer zu keinem Schneider gekommen war, – daß er noch immer bei der Krienke saß – Hertha hatte recht. Aber so, wie sie es gemacht hatte, war es unrecht. Er öffnete die Tür zum ersten Zimmer linker Hand, etwas Licht fiel von den Straßenlampen herein, nach einigem Suchen fand er den Schalter. Schön, sehr schön! würde der alte Eich sagen. Nein, verdammt, das würde er nicht sagen! Was würde dieser gelbliche Mann in der braunen Hausjacke wohl zu diesen Streichen seiner Tochter sagen? Und was würde er zu einem Vertragspartner sagen, der das hinnahm? Einen Augenblick warKarl Siebrecht in Versuchung, kehrtzumachen. Noch nicht, sagte er sich dann. Ich kann immer noch gehen, ich bin allein hier.
    Ein wenig verwundert und ein wenig müde sah er die Bücherbretter entlang. Wann sollte er das alles je lesen? Was dachte sie sich eigentlich? Er hatte zu arbeiten, jetzt hatte er noch zehnmal mehr zu arbeiten, um sich wenigstens vor sich selbst zu rechtfertigen. Fremde Namen auf diesen Büchern, er würde nie erfahren, was sie ihm zu sagen hatten. Einen Augenblick stutzte er, als er unter den unbekannten Titeln den bekannten sah: »Homer, Odyssee.« Er zog den Band halb heraus, flüchtig dachte er an Rektor Tietböhl, er hätte gerne die Stelle gesucht, wo Nausikaa den schiffbrüchigen Odysseus findet. Aber er schob den Band zurück. Nicht jetzt – er war auch nicht schiffbrüchig.
    Er ging rasch in das nächste Zimmer und blieb auf der Schwelle stehen. Dies war ihr Zimmer, er fühlte es. Auf der Couch, noch aufgeschlagen in Falten, eine Decke, als sei sie eben erst herausgeschlüpft. Er spürte den Duft von Zigaretten, auf der Lehne lag ein Buch, aufgeblättert. Es war, als sei sie eben erst hiergewesen. Ach, warum war sie nicht hier? Ihm war, wäre sie jetzt hiergewesen, so hätte er sie verstanden, er hätte alles begriffen. Nun würde er sie erst morgen sehen oder in drei Tagen, in drei Wochen, wenn dies alles schon alt geworden war …
    Langsam trat er in die Mitte des Zimmers, sah sich um. Alle Möbel fast in diesem Zimmer schienen alt, ein kleiner Renaissanceschrank, steife, steillehnige Renaissancestühle mit einem sanftrosa verblichenen, ehemals purpurroten Bezug. Er begegnete seinem eigenen Blick in einem großen Venezianer Spiegel. Einen Augenblick schaute er sich prüfend an. Das Glas schien leicht grünlich, es machte ihn sehr blaß, seine Augen wirkten dunkel. Ein fremder, sehr ernster Mann stand vor ihm. Dann hatte er das Gefühl, nicht allein zu sein. Es war ihm, als blickten ihn fremde Augen aus diesem Spiegel an. Er sah in dem grünlichen Glas die Tür zum nächsten Zimmer,sie bewegte sich lautlos … Er wandte nicht den Kopf, er starrte weiter in den Spiegel, sein Herz klopfte.
    Die Tür öffnete sich weiter. Auf der Klinke sah er etwas Weißes, eine Hand … Er sagte halblaut, zitternd: »Bist du es, Hertha? Komm, komm schnell! Ich halte es nicht mehr aus. Ich habe mich so gesehnt nach dir …«
    Die Tür öffnete sich ganz.

96. Hertha Eich ergreift die Zügel

    Er erwachte aus einem Traum, der schön gewesen war. Aus dunkleren Wassern war er in immer hellere gestiegen, liegend hatte es ihn emporgetragen, ans Licht. Nun lag er erwacht im Dunkeln, er lauschte auf ihren Atem. Nach einer

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