Ein Mann will nach oben
aber das war nicht ratsam, denn »Karl chen « war ein untrügliches Zeichen dafür, daß sie sehr unzufrieden mit ihm war. Und wenn sie nicht mit ihm zufrieden war, ließ sie es ihn merken. Sie hatte mancherlei Arten, sein Selbstgefühl zu verwunden, aber »Karlchen« schien ihm doch die schlimmste.
»Wenn du mich wenigstens vor anderen Leuten nicht Karlchen nennen wolltest!« sagte er flehend. »Gestern hast du mich in meinem Büro so genannt, vor Herrn Körnig und Fräulein Taesler! Ich habe gesehen, wie sich die beiden angegrinst haben!«
»Ich war wohl kein anständiges Mädchen, nein?« fragte sie süß. »Ich habe wohl die Beine übereinandergeschlagen, wie es kein anständiges Mädchen tut? Da mußte mich Herr Direktor Siebrecht natürlich strafend ansehen! Aber wenn sich Herr Direktor wie Karlchen benimmt, so wird er auch Karlchen genannt – und wenn alle Leute von der ganzen Welt dabeisitzen!«
Und das tat sie wirklich. Karl Siebrecht hatte noch nie einen Menschen getroffen, der so unbekümmert dem Gerede der Leute gegenüber war wie Hertha Eich. Sie forderte das Gerede nicht etwa heraus, sie trotzte ihm auch nicht, sie verachtete es auch nicht – nein, es existierte einfach nicht für sie. Sie dachte nie auch nur einen Augenblick daran, was die Leute von ihrem Tun und Treiben denken könnten. Sie besuchte ihn tags wie nachts mit Selbstverständlichkeit in der Passauer Straße und in seinem Büro. Dort war sie erst sehr zweifelhaft angesehen worden, vor allem auch von Fräulein Palude, die den Weg ins Direktorenzimmer zu verteidigen hatte. Dann war es irgendwie herausgekommen, daß sie die Tochter des mächtigen Eich war, und von Stund an wurde sie mit größter Liebenswürdigkeit behandelt. Sie hatte weder daszweifelhafte Ansehen noch die Liebenswürdigkeit bemerkt. Wenn sie die Laune ankam, setzte sie sich eine halbe Stunde zu Fräulein Palude und ließ sich von dem alten Fuhrhof und von Wagenseils erzählen. Er durfte unterdes warten. Dann nickte sie der Palude zu und ging, vergaß unter Umständen auch völlig ihr wartendes Karlchen.
Wie sie es in der Passauer Straße fertigbrachte, dem Gerede zu entgehen und sich sogar in Respekt zu setzen, begriff er nie. Berliner Portiersfrauen haben im allgemeinen keinen übertriebenen Ruf für ihre Diskretion, aber Frau Pagel schwor auf die »gnädige Frau«. Das kleine Hausmädchen Hilde nannte die »gnädige Frau« wiederum nur »Fräulein Eich«, aber nicht aus Übelwollen, sondern weil ihrem schlichten Geist alle Bemäntelungen zu kompliziert waren. Karl Siebrecht hörte einmal eine Verhandlung der drei weiblichen Wesen über die Reinigung eines Teppichs, auf den Hilde ein Tintenfaß entleert hatte. Es ging wild durcheinander mit »gnädige Frau« und »Fräulein Eich«. – Hertha schien das überhaupt nicht zu hören.
»Willst du nicht doch vielleicht Hilde beibringen«, fragte er hinterher so sanft, wie es ihm nur möglich war, »daß sie dich auch gnädige Frau nennt?«
»Wieso? Was sagt sie denn?«
»Sie sagt Fräulein Eich, und die Portiersfrau sagt gnädige Frau«, erklärte er ihr geduldig.
»Schön«, sagte sie, ganz wie ihr Vater. »Und es scheint beide nicht zu stören. Dich aber stört es, mein armes Karlchen, wie?«
Rätselhaft blieb ihm immer, wie sie zu Haus ihre ständigen Abwesenheiten bemäntelte. Schließlich war sie aus einem gutbürgerlichen Haus. Herr Eich sah nicht danach aus, als ob er ein Bohemeleben seiner Tochter billigen würde. Sie aber kam zu ihm, wie es ihr einfiel, sie blieb ganze Nächte in der Passauer Straße. Er konnte es nicht lassen, er fragte sie manchmal kummervoll: »Was sagst du nur deinen Eltern? Fragen sie denn nie? Sie müssen sich doch deinetwegen Sorgen machen!«
Sie lachte. »Mir scheint, du machst dir Sorgen, wie ich zu Haus abschneide, mein gutes Karlchen?«
»Wirklich, Hertha, sie müssen dich doch etwas fragen, und du mußt ihnen doch etwas antworten!«
Wieder lachte sie. »Hast du schon je auf eine solche Frage von mir Antwort bekommen?« fragte sie. »Nun, siehst du! Übrigens fragen meine Eltern mich nie etwas. Man hat Vertrauen oder man hat keines. Gefragt wird nur in Schrimm und Schroda.« Sie sah ihn nachdenklich an. »Mache ich dir sehr viel Sorgen?« fragte sie plötzlich. »Bitte mache dir meinetwegen keine Sorgen. Wenn du dir Sorgen machen mußt, werde ich es dir schon sagen.« Das war ganz aufrichtig und herzlich gesagt. Aber gleich verdarb sie es wieder. »Im übrigen sollst du dich
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