Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein Mann will nach oben

Ein Mann will nach oben

Titel: Ein Mann will nach oben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
Vom Netzwerk:
selbst überzeugen können, was meine Eltern von mir denken. Ich werde dich zu Sonnabend von ihnen einladen lassen.«
    »Um Gottes willen, nein!« rief er, entsetzt über das, was er nun wieder heraufbeschworen hatte.
    »Nun sage mir noch, daß es dir peinlich wäre«, sagte sie spöttisch. »Nicht wahr, dem alten ehrlichen Vater ins biedere Auge sehen, dessen Tochter du –« Sie sah ihn aufmerksam an. »Aber du hast mich nicht verführt, mein Lieber, sondern ich dich. Und ich bin mir noch immer nicht ganz sicher, ob es nicht wirklich nur eine Verführung war. Guten Abend, Karlchen.« Damit ging sie, und sie hatten den Abend doch zusammen ins Theater gehen wollen. Aber es war völlig zwecklos, sie an so etwas zu erinnern. Sie ging, manchmal dachte er dann, sie wäre für immer gegangen. Sie meldete sich drei, vier Tage nicht, und er wagte nicht, sie in der elterlichen Wohnung anzurufen. Er verging vor Unruhe und Zweifel, er verfluchte seine Pedanterie und Kleinstädtischkeit. Er sah ein, daß er wirklich noch immer kein Berliner war. Er dachte noch nicht berlinisch.
    Einmal hatte sie nach einer solchen Trennung zehn Tage nichts von sich hören lassen. Als er sie dann doch wieder in den Armen hielt – er war schon ganz verzweifelt gewesen –, rief er, sie fest an sich drückend: »Und ich dachte schon, du würdest nie wiederkommen!«
    »Dachtest du das wirklich?«
    »Ich weiß nicht. Ich war ganz verzweifelt. Ich konnte nicht mehr arbeiten. Aber ich sagte mir immer wieder, daß du es nicht fertigbringen würdest, mich so zu verlassen!«
    »O doch, ich würde es schon fertigbringen!«
    »Ich möchte dich anbinden hier bei mir!«
    »Mich bindest du nicht an. Denke doch nicht, daß ich dir sicherer wäre, wenn du mich heiratest. Sicher bin ich dir nur so lange, wie ich dich liebe.«
    »Aber du mußt mich immer lieben!«
    »Ich habe dich jetzt zehn Tage nicht geliebt«, sagte sie leise, »ich war deiner so überdrüssig. Ich habe in meinem Zimmer gesessen und immerzu auf den Hof gestarrt. Es ist da ein Riß im Verputz, ein Stück Mörtel hängt nur noch ganz lose, und – ich habe mir gesagt: wenn dieses Stück Putz abfällt, werde ich nicht wieder zu ihm gehen. – Das Stück hängt noch …«
    »Du mußt wahnsinnig sein!« brach es plötzlich aus ihm. Er preßte sie in seine Arme, als wollte er sie zerdrücken. »Glaubst du denn, ich ließe dich so gehen? Ich holte dich wieder, und wenn ich mein ganzes Leben dabei daransetzen müßte. Du gehörst mir, verstehst du, nur mir!«
    »Sage das noch einmal«, bat sie. »Sage es immer wieder.«
    Er wiederholte es ihr, zwischen Küssen wiederholte er es immer wieder, daß sie ihm gehörte und daß er sie sich wieder holen würde vom Ende der Welt!
    »Ich weiß nicht, wie es bei euch anderen ist«, sagte sie später, »ihr scheint immer die gleichen Gefühle zu haben. Sie entstehen langsam, und dann bleiben sie, über eine lange, lange Zeit, vielleicht für das ganze Leben. Bei mir kommt alles mit einem Schlag. Es ist wie eine Woge, die mich überfällt und hochwirbelt. Dann ist die Woge wieder fort, und ich liege im Sand, hilflos und leer … Keiner versteht, wie schrecklich diese Leere ist, ich glaube, so ist der Tod. Tod ist, daß man nichts mehr fühlen kann …« Nach einer Weile sagte sie noch: »Doch, einer versteht das.«
    »Und wer versteht dich so?« fragte er voll Angst und Eifersucht.
    »Vater«, sagte sie. »Vater versteht alles.« Und ganz rasch: »Aber du sollst nie werden wie Vater. Wenn du mich wirklich verstündest, würdest du mich nicht mehr lieben. Du sollst mich aber immer lieben.«
    »Ich werde dich immer lieben«, sagte er. »Du bist mein ganzes Glück!«
    Solche Stunden hatten sie auch, Stunden größten Glücks und tiefsten Vertrauens, in denen Karl Siebrecht fühlte, wie nah dieses zweiflerische, leidenschaftliche Geschöpf ihm war, wie Hertha Eich ihn doch ebenso unentrinnbar liebte wie er sie. Ja, diese Stunden waren gar nicht selten, sie waren sogar häufiger als jene, da sie fühlten, wie verschieden sie waren. Sie kamen immer ganz überraschend, wie alles bei ihr überraschend kam. Sie kamen nach einem Zwist, auf einem Spaziergang, dann plötzlich im Theater – und sie standen beide auf, gingen mitten aus der Vorstellung in die Nacht hinein. Oder sie saßen am Abend zusammen, jeder in ein Buch vertieft – er entdeckte plötzlich, daß er sogar Zeit hatte, Bücher zu lesen –, und ihre Blicke begegneten sich über den Seiten der Bücher. »Ja

Weitere Kostenlose Bücher