Ein Mann will nach oben
war schwer und langsam, die alte Minna hatte ihn aufgezogen …
Aber an diesem Abend stimmte es ihn nicht trübe, neidlos saß er dabei und hörte ihnen zu. Er fand, daß seine Freundin nie so schön und lebendig ausgesehen habe wie an diesem Abend, und der Herr Rittmeister schien das auch zu finden. Hertha hatte irgendwas mit ihrer Kleidung angestellt, er wußte nie, was sie anhatte, aber an diesem Abend sah er doch wenigstens, daß sie etwas Besonderes trug, und es freute ihn, daß sie sich für seinen Freund schön gemacht hatte. Der Rittmeister, dieser weißhaarige Fünfziger, strahlte von Jugend, Witz und Laune! Plötzlich begriff Karl Siebrecht, daß dieser Mann immer ein Verehrer der Frauen gewesen war. Er verehrte sie, wie andere schöne Bilder oder Edelsteine verehren, er freute sich an ihrer Schönheit, wie andere sich an schöner Musik erfreuen. Herr von Senden entdeckte ein rubinfarbenes Licht in dem schwerroten Wein seines Glases, und er sang ein Loblied, ein Jubellied auf dieses rubinfarbene Licht. Aber selbst Karl Siebrecht begriff, daß Senden jetzt nicht den Wein und den Widerschein der Lichter im Wein besang, sondern die Schönheit der Frauen im Leben, und besonders die Schönheit jener Frau, die da vor ihm saß und mit einem rätselvollen glücklichen Lächeln in ihr Weinglas sah.
Wie schön Hertha aussah! Ach, einen Augenblick lang hätte er seine dreißig Jahre gegen die fünfzig des Herrn von Senden austauschen mögen, um es ihr ebenso sagen zu können, wie schön er sie fand, wie sehr er sie liebte. Leise rührte er ihre Hand am Weinglas mit der Spitze seines Zeigefingers an, nicht um die Welt hätte er jetzt diese Bewegung unterlassen können. Sie sah zu ihm auf, rasch und offen, und in ihrem Blick las er dieselbe Zärtlichkeit und dieselbe Liebe, die er in diesem Augenblick empfand. Sie nahm seine Hand und drückte sie, sie sagte lächelnd: »Du Armer, reden wir immerzu und lassen dich gar nicht zu Worte kommen? Jetzt sollst du aber reden dürfen!« Und alle drei brachen in Gelächter aus.
Er verschwor sich, daß er an diesem Abend kein einziges Wort sprechen würde, daß es ihm genug und übergenug sei, ihnen zuzuhören, daß er ganz glücklich sei, daß er viel zu faulsei, auch nur ein Wort zu sprechen, daß er sie beide immer nur ansehen möchte … Wieder lachten sie, und er wußte nicht, war es der Wein oder das Glück und die Liebe, er wurde emporgehoben und leicht gemacht. Er redete weiter, er versicherte wieder, daß er nichts zu sagen hätte, daß er schweigen wollte, im vollen Glück schweigen wollte, und dabei sah er, das Glas erhoben, durch den glänzenden Raum mit all den fröhlichen Menschen, und plötzlich erzählte er von der grauen Novembernacht, mit der ihn Berlin empfing. Nässe fiel, und er zog einen Karren mit Gepäck … Er roch wieder den Geruch der Wiesenstraße, wieder beizte der Rauch der Koksfeuer seine Kehle, er schmeckte den Staub im Stofflager des Konfektionärs, und auf der winterlichen Spree lagen die Äpfelkähne. Dann kamen die Bahnhöfe … Aber zwischen allem lagen die Straßen und Plätze mit ihren Häusern, Kirchen, Fuhrhöfen, Garagen. Hundertmal, tausendmal war er durch sie gelaufen und gefahren, hungrig und satt, von Erfolg träumend. Das alles war Berlin, das war die Stadt, in der es schwer gewesen war, in der es immer noch schwer war … Doch Berlin war nicht nur dies, Berlin war auch leicht und froh, hier sah er es. Er hatte nie von etwas anderem als dem Erfolg geträumt, er meinte, Berlin habe als letzten Lohn nur Erfolg zu geben. Aber Berlin hatte auch anderes zu geben, etwas, das mehr war als Erfolg, und an diesem Tisch saß es …
Er neigte sein Glas vor Hertha, leise klangen die Gläser aneinander, und leise sagte der Herr von Senden: »Ja, die Eroberung von Berlin! Eine lange Zeit hast du es nicht hören können, wenn ich davon sprach, du glaubtest, ich verspottete dich. Jetzt sprichst du selbst davon: es muß dir wirklich sehr gut gehen, mein Sohn Karl!« Und der Rittmeister neigte sein Glas – vor Hertha Eich.
99. Der Gute Ruf
Für Herrn Direktor Siebrecht war dieser Abend mit Herrn von Senden auf längere Zeit der letzte schöne Abend. Ein dunkles Wetter zog für ihn am Himmel auf, und diesmal kam es nicht von der geschäftlichen Seite her, sondern ganz von der privaten. Siebrecht sollte recht behalten: Hertha Eich war ein wenig zu unbekümmert gewesen, es sollte ihm aber noch sehr leid tun, daß er recht behielt. Wie meist,
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