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Ein Mann will nach oben

Ein Mann will nach oben

Titel: Ein Mann will nach oben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
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seine »Irgendwie-Hilfe« bloß schadete, ein wenig positiver müßte sie schon aussehen. Der lange Herr mit den dunklen Augen hatte ihm ja auch versprochen, nach den Leuten zu sehen. Was freilich von einem solchen Versprechen zu halten war, besonders wenn es von einem Schwager des Herrn Kalubrigkeit ausging, darüber wollte Karl Siebrecht jetzt lieber nicht nachdenken. Ihm blieb noch der Grüne Baum mit demeinsam süffelnden Maurer Walter Busch, und beides fand er schnell genug, den Grünen Baum und in ihm den Busch. In der Kneipe war es still um diese Stunde nach der Mittagspause. Busch saß einsam an seinem Holztisch, auf der Bank neben ihm lag in dem grau bestäubten Rucksack sein Maurerzeug, auf dem Tisch vor ihm stand ein großes Glas Schnaps. Aber Busch hatte von diesem Glas noch nicht getrunken.
    Karl Siebrecht rührte den Maurer an der Schulter an. »Herr Busch«, sagte er, »wollen wir nicht zusammen nach Hause fahren? Die Tilda freut sich bestimmt, wenn Sie kommen, und die Rieke, ich meine, Ihre Tochter, ist vielleicht auch schon wieder zu Hause.« Zu spät war ihm eingefallen, daß Rieke für den Mann eine andere bedeutete.
    »De Rieke?« fragte der Mann und sah aufmerksam zu ihm auf. »Meinste wirklich, se wartet uff mir?«
    »Doch!« sagte der Junge nur.
    »Na denn!« meinte der Maurer und stand auf. Er hatte sowohl Schnaps wie Rucksack vergessen. Aber Karl Siebrecht hatte den Rucksack schon genommen. In der Tür wandte sich Busch noch einmal zu ihm. »Biste sicher mit de Rieke?« fragte er und sah den Jungen an, sah ihn diesmal richtig an mit seinen verwaschenen Augen.
    Und wieder spielte dem Jungen seine Ehrlichkeit einen Streich. Er hätte nur »ja« zu sagen brauchen, und der Maurer wäre wohl mit ihm gegangen. Aber es kam ihm gemein vor, diesen verwirrten Mann zu täuschen, er sagte: »Ja, ich glaube, Ihre Tochter wird jetzt aus der Schule zurück sein, Herr Busch.«
    »Ach so«, sagte der Mann und verfiel. Sein Auge glitt vage umher. Er ging nicht mehr weiter.
    »Kommen Sie, Herr Busch!« drängte Siebrecht. »Gehen wir nach Haus. Morgen finden wir andere Arbeit.«
    Aber der Mann, der nichts zu sehen schien, hatte schon das einsame Schnapsglas auf dem fleckigen Holztisch entdeckt. Er schob den Jungen nur beiseite, nicht, als sei er ein Mensch, sondern etwa ein Stuhl, der im Wege stand. Busch ging auf den Tisch zu und trank im Stehen das große Glas leer. Er gingan die Theke und reichte es dem Wirt. Er legte, während der eingoß, Geld auf die Theke. Wieder im Stehen, diesmal an der Theke stehend, goß er das Glas hinunter. Und reichte es wieder dem Wirt, fingerte wieder nach Geld … Leise ging der Junge aus der Kneipe.
    Das ist kein guter Anfang, dachte er. Das ist alles kein guter Anfang. Seit gestern abend mit dem Schuster Fritz Krull ist alles, was ich tue, verkehrt. Wie kommt es, daß die Rieke alles richtig macht, und ich mache alles falsch? Ich glaube, ich bin dumm. Ich verstehe nichts von den Menschen, und ich verstehe nichts vom Leben, alles wird verkehrt, was ich tue. Die Rieke lügt auch nicht und schmeichelt auch nicht, und es wird doch richtig bei ihr. Wie hätte ich den alten Busch aus der Kneipe kriegen sollen, ohne zu lügen? Und wie hätte ich was für die Trockenmieter tun können, ohne Streit mit dem Kalubrigkeit zu bekommen? Ich will nicht kriechen, nie, und ich will doch etwas erreichen! Aber ich fange es falsch an.
    So dachte der Junge, und es drängte ihn, zu Rieke Busch zu kommen und ihr alles zu erzählen. Er hatte solch ein Zutrauen zu dem kleinen Ding, sie würde ihm schon sagen können, was er falsch gemacht hatte, und sie würde ihm erklären, wie sie es angefangen hätte. Ich muß es lernen, dachte er. Wenn ich vorwärts will, muß ich das zuerst lernen, wie ich mit den Leuten hier umzugehen habe. Jetzt rede ich noch nicht richtig mit ihnen. Sie denken, ich bin bloß ein Junge. Ich bin ja auch nur ein Junge, aber ich will doch ein Mann werden, ein richtiger Mann. Rieke muß es mir sagen.
    Aber obwohl es ihn drängte, zu Rieke zu kommen und sich mit ihr auszusprechen, fuhr er nicht mit der Elektrischen. Es war nicht der Fahrgroschen, den er sparen wollte, er gab sogar noch mehr aus: er ging in das nächste Papierwarengeschäft und kaufte sich einen Stadtplan von Berlin. Er mußte ja doch diese Stadt kennenlernen, diese graue, tote, im Novembertrübsinn trotz allen Treibens wie ersterbende Stadt. Er wollte die Stadt sehen, er wollte sie bis in den letzten Winkel

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