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Ein Mann will nach oben

Ein Mann will nach oben

Titel: Ein Mann will nach oben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
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Ein Zwischenfall im Zeichenbüro

    Manchmal bedauerte es Rieke in der nächsten Zeit doch, daß sie sich ihre Näherei nicht durch einen Zwischenmeister hatte zuteilen lassen: man hätte sich da um ihre Arbeit gekümmert und ihr mit Rat und Tat beigestanden. So saß sie mitunter fast verzweifelt vor ihrer Näherei und wußte nicht aus noch ein. Dann ergriff sie eine panische Angst, ihre Arbeit könne wegen Pfuscherei zurückgewiesen werden und sie müßte dann all diese Stoffe ersetzen. Sie hatte schon immer wenig geschlafen, jetzt schlief sie fast gar nicht mehr, und auch durch dieses bißchen Schlaf spukten noch Abnäher, Kellerfalten und aufgesetzte Taschen. Aber Rieke biß die Zähne zusammen und sagte sich: Det hilft nu allens nischt mehr. Durch mußte! Mir von dem alten Felten ankotzen lassen? So blau! Und sie bezog Posten vor dem Feltenschen Hause – die Aufsicht über den alten Busch kam mal wieder zu kurz –, paßte dort einer Schneiderin auf, die ablieferte, und heftete sich an ihre Sohlen. Sie schob mal wieder die kranke Mutter vor, für die sie um Rat fragen müßte, und erreichte, daß sie mit auf die fremde Schneiderstube genommen wurde. Sie war dort still und bescheiden, oh, wie gut konnte Rieke den Mund halten, wenn es nötig war! Sie machte sich enorm nützlich, und dabei hielt sie ihre Augen offen: ihr entging nichts. Es kostete sie zwei volle Arbeitstage, aber in diesen zwei Tagen lernte sie mehr, als manche andere in zwei Monaten gelernt hätte. Hinter Rieke Busch stand ein ehernes Muß.Die Schneiderin, eine ältliche, sonst nicht gerade süße Person, sagte zu ihr beim Abschied: »Na, Rieke, und wenn de wieder nich Bescheid weeßt, denn fragste mir direkt – det olle Hintenherum mag ich uff den Tod nich ausstehen!«
    Rieke Busch machte ihren allerschönsten Schulmädchenknicks und sagte: »Denn dank ick ooch schön, Fräulein Zappow!«
    »Und mit dem Bügeln von die schweren Stoffe kommste doch nich zurecht, Rieke«, fuhr Fräulein Zappow kategorisch fort. »Det is nischt for dir. Wenn de mit deine Arbeit soweit bist, denn schick ich dir meinen Bügler. Der is nich teuer, der macht dir det so, det kein Jemecker bei Felten is.«
    Wieder ein tiefer Knicks, wieder ein: »Denn dank ich ooch schön, Fräulein Zappow!«
    »Noch billiger kommste«, sagte Fräulein Zappow, milde gestimmt durch soviel Dankbarkeit, »wenn de ’nen Mann im Haus hast, dem kann mein Bügler det zeigen. Det lernt jeder. Haste nich noch ’nen Vater? Mir war doch so.«
    »Mit Vata is for so wat nischt los, danke ooch schön, Fräulein Zappow. Aba vielleicht lernt’s mein Freund …«
    »Wat, ’nen Freund haste ooch schon in deinen Jahren – ick muß saren, ihr Mächen vom Wedding –!«
    »Doch nich so, Fräulein Zappow! Wat ick bin, for mir broochte de Liebe nich erfunden sein! Nee, det is so eener, mehr wie ’n Bruda, vastehn Se, Fräulein Zappow?« Aber auf der Treppe schon steckte Rieke der Zappowschen Tür die Zunge heraus. Du olle Zieje, sagte sie bei sich, von deinetwejen hätt ick die beiden Tage bloß Knopflöcher nähen dürfen! Wenn ick und wäre nich so uff ’n Kien jewesen … Und Rieke kehrte mit neuem Mut zu ihrer Näherei zurück.
    Während seine kleine Freundin sich so mit mancherlei Sorgen plagte, von denen sie doch nie ein Wort – auch zu ihm nicht – laut werden ließ, freute sich Karl Siebrecht seiner Doppelverdiener-Existenz. Nach der süßlich lauen Luft der Zeichenstube in das abendlich lichterhellte Berlin sich zu stürzen, im Trab in die Jerusalemer Straße zu laufen, dasschwere Dreirad zu holen, die vielen gewichtigen Pakete und Packen mit Konfektionsware aufzuladen, das war eine Wonne! Dann spürte er weder Hunger noch Kälte, Schnee mochte treiben, der Winterwind um die Ecke pfeifen: gewaltig klingelnd fuhr er los. Warm wurde ihm dabei, er hätte auch in Hemdsärmeln fahren können, das machte ihm gar nichts aus. Bloß kein Stubenhocker werden, dachte er. Und wenn er spät am Abend, meist schon in der Nacht, zu Rieke kam – sie hatte ihm seine Stullen hingestellt und saß noch immer bei ihrer Näherei –, dann sagte er wohl, eifrig kauend: »Daß du das aushältst, Rieke! Immer in der Stube hocken!«
    »Im Winta?« fragte sie dagegen, echtes Großstadtkind, das sie war. »Da verderbe ick mir doch draußen bloß mein Zeug. Det spart – in de Stube sitzen. Det wirste schon sehen, wie lange deine Klamotten halten, Karl, jetzt wo de alle Tage uff de Straße liegst.«
    »Ach was«, lachte

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