Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein Mann will nach oben

Ein Mann will nach oben

Titel: Ein Mann will nach oben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
Vom Netzwerk:
finde ich es, daß man dir deine Freude deutlich am Gesicht abliest. Die sitzen oben in ihrer Finanzabteilung und essen Kaviarbrötchen, wir können ruhig ein Wort miteinander plaudern. Wie gefällt es dir denn hier? Aber zuerst muß ich wohl den Herrn Oberingenieur Hartleben fragen, wie du ihm gefällst?«
    »Er macht sich, er macht sich«, sagte der Oberingenieur lächelnd. »Seinen Jahren entsprechend, leistet er genug.«
    »Nun, das freut mich zu hören«, meinte der Rittmeister. »Übrigens habe ich nie daran gezweifelt.«
    Er hatte sich auf Karl Siebrechts Stuhl gesetzt und die Beine übereinandergeschlagen. Heute trug er zart himbeerfarbene Socken mit einem purpurnen Zwickel. Karl Siebrecht sah essofort. Herr von Senden zog ein goldenes Zigarettenetui aus der Tasche und bot es dem Oberingenieur, der mit einem Hinweis auf die strenge Ordnung der Zeichenstube ablehnte. Der Rittmeister aber nahm sich eine. »Ich will es riskieren«, sagte er. »Ich bin zwar nur stiller Teilhaber der Firma, sehr stiller sogar, aber immerhin …« Nun brannte die Zigarette, und Herr von Senden wandte sich wieder an Karl. »Übrigens dachte ich gar nicht mehr, dich hier vorzufinden. Vor ein paar Tagen hatte ich abends eine Vision von einem Jungen, der dir glich wie ein Ei dem anderen. Dein Doppelgänger saß auf einem Dreirad und schob vor sich einen wahren Berg von Paketen her. Der bist du also nun doch nicht gewesen.«
    »Doch, der bin ich auch gewesen!« sagte Karl Siebrecht und wurde ein wenig rot. Vor dem Rittmeister machte es ihm nichts aus, aber der Oberingenieur hätte es nicht zu wissen brauchen.
    »War das nur so per Zufall«, fragte der Rittmeister weiter, »oder ist das eine Dauerbetätigung bei dir?« Er sah dabei nicht Karl, er sah die Asche seiner Zigarette an. Dann stippte er sie mit einem langen rosigen Fingernagel ab.
    »Vorläufig mache ich das alle Abende«, sagte der Junge.
    »Wegen Geld?« erkundigte sich der Rittmeister immer weiter.
    »Auch!« antwortete der Junge immer wortkarger. Jetzt wußte er wieder, was er an dem Rittmeister auszusetzen hatte: der Mann war ein Bohrer. Er zerfaserte alles, schließlich blieb einem gar nichts Festes mehr in den Händen.
    »Aber«, fragte der Rittmeister erstaunt, »sollte sich da nicht eine etwas würdigere und einträglichere Beschäftigung für dich finden lassen? Botenjunge auf einem Dreirad! Sicher hat Herr Hartleben dann und wann Überarbeit zu vergeben, die nicht schlecht bezahlt wird – nicht wahr, Herr Hartleben?« Der nickte.
    Der Junge überlegte einen Augenblick, dann stürzte er sich kopfüber in seine Antwort. »Aber«, rief er, »ich will gar keine andere Arbeit! Die gefällt mir, das finde ich gerade so schön in Berlin, daß man hier tun und lassen kann, was man will! Daß keiner nach einem fragt! Warum ist denn das unwürdig, Botenjungezu sein? Warum ist es würdiger, Zeichnungen zu machen? Ich versteh das nicht, und der richtige Berliner, soweit kenne ich Berlin auch schon, versteht das auch nicht. Wissen Sie, Herr Rittmeister, wie mir ein Mann das erste Trinkgeld in die Hand gedrückt hat, da habe ich gezuckt. Da hat er zu mir gesagt: ›Bist du zu fein, Geld zu verdienen? Da biste wohl auch zu fein, Brot zu essen?‹ – Sehen Sie, Herr Rittmeister, das war ein richtiger Berliner – der hat recht! Das ist das einzig Unwürdige: Brot zu essen, das man nicht verdient hat! – Verzeihen Sie, Herr Rittmeister, Sie habe ich natürlich nicht damit gemeint!«
    Der Herr von Senden hatte ein wenig von seiner überlegenen Blasiertheit eingebüßt bei diesem jugendlich feurigen Ausbruch. Herr Oberingenieur Hartleben machte mit den Armen runde, beschwichtigende Bewegungen, als scheuche er ein Huhn vor sich her. Dem Jungen kamen beide Herren unsäglich komisch vor in ihrer Bestürzung – er mußte lächeln. Aber das Lächeln verging ihm, als eine fette, schleppende Stimme sagte: »Ach, Schwager, würdest du nicht einen Augenblick raufkommen und ein paar Worte mit dem Oberbaurat reden? Er macht nun doch Schwierigkeiten wegen der Bauerlaubnis. Nanu, wer ist denn das?«
    Der Herr Kalubrigkeit mochte vom Bauzeichnen nichts verstehen und von der ganzen Bauerei wenig. Aber Menschenkenntnis hatte er, und ein Gesicht, das er einmal gesehen hatte, vergaß er so leicht nicht wieder. Er hatte einen von Koksstaub geschwärzten Karl Siebrecht gekannt, und nun sah er einen sauber gewaschenen Jüngling mit hohem Stehkragen, aber das konnte ihn nicht einen Augenblick

Weitere Kostenlose Bücher