Ein Mann will nach oben
jetzt die hundert Mark, Mensch, und du gehst um die nächste Ecke, und weg bist du!«
»Wenn du das wirklich dächtest, gäbst du mir nie die hundert Mark. Das ist gar kein Risiko!«
»Aber du kannst platzen, wo du doch mit allen Dienstmännern verkracht bist!«
»Du sagst ja selbst, die kommen!«
»Wenn sie aber nicht kommen? Nichts Gewisses weiß man nicht! Du erzählst mir ja nicht, was du mit denen gehabt hast!«
»Ich werde es mir überlegen«, sagte Karl Siebrecht langsam, obwohl er seine Antwort sehr genau wußte. Aber er hatte es schon mit den Dienstmännern und mit Kalli Flau verdorben, er wollte nicht auch den Hans Tischendorf vor den Kopf stoßen, der mit seinem unbestimmten Anhang ein gefährlicher Gegner werden konnte. »Vorläufig brauche ich noch kein Geld.«
»Und wie ist es mit dem Vorzugstarif? Ich muß den anderen doch Bescheid sagen.«
»Das muß ich erst nachrechnen. Ich glaube, es gibt nur Stänkerei.«
»Stänkerei gibt’s immer, wo Geld verdient wird«, sagte der Haifisch philosophisch. »Wenn du davor Angst hast?«
»Angst – ich?« fragte Karl Siebrecht zurück und warf den Kopf in den Nacken. »Ich habe überhaupt keine Angst! Ich will bloß keine schlechten Geschäfte machen!« Er nickte dem Tischendorf kurz zu und ging eilig vom Bahnhof fort.
30. Franz Wagenseil tritt auf
Karl Siebrecht ging rasch durch die Invalidenstraße und bog in die Brunnenstraße ein. Er ging denselben Weg, den er damals in seiner ersten Berliner Nacht bei Regen und Kälte mit Rieke Busch gemacht hatte. Damals hatte er einen Karren gezogen, alles war ungewiß und fremd gewesen. Nur, daß er damals schon dunkel empfunden hatte, dies kleine Mädchen, das da hinten am Karren schob, sei etwas Freundlich-Vertrautes, ein Inselchen Sicherheit in einem Ozean von Ungewißheit, ein friedlicher Lichtschein in der Nacht.
Heute ging er den gleichen Weg an einem strahlend hellen Vorfrühlingstag, er stand vor großen Ereignissen. Von morgen an würde er ein Stück Transportunternehmer sein – undbei der Unterhaltung eben mit dem widerlichen Tischendorf hatte er klar erkannt, was er nun zuerst tun mußte: er mußte Rieke Busch alles erzählen, Pläne und Streit, sie hatte ein Recht, davon zu erfahren, und wenn er es auch durchführen würde, falls sie dagegen war, es war besser und anständiger, gegen ihren Rat zu handeln als ohne ihr Wissen. Darin hatte Kalli Flau recht. Er ging immer schneller. Eine Last war von seinem Herzen gewichen, er begriff sich selbst nicht, daß er so lange hatte schweigen können. Da hatte er wahrhaftig mit allen Leuten schon über seinen Plan geschwatzt, nur mit der Rieke nicht! Wieso eigentlich nicht? Aber er würde es nun sofort tun – und wie leicht würde ihm dann sein! Jawohl, einen Menschen mußte der Mensch haben, der an allem teilnahm, sonst war er kein Mensch. Sonst wurde alles böse, hart, bitter in einem – er hatte ein Stück davon zu fühlen bekommen in der letzten Zeit. Aber nun würde das alles gleich in Ordnung sein … Aber so schnell er auch ging, an diesem sonnigen Nachmittag erreichte er die Freundin nicht mehr, es sollte Abend werden, ehe er sie wiedersah. Die gute Stunde glitt vorüber, die Wohnungstür war zu, und als er mit seinem Schlüssel aufgeschlossen hatte, war alles leer. Rieke war auf Besorgungen fort oder bei der Schneiderin Zappow. Und er mußte zu dem Wagenseil, er hatte keine Zeit mehr, sie zu erwarten oder zu suchen. Grenzenlos enttäuscht sah er sich in der kleinen Küche um.
Wenigstens wollte er diese Gelegenheit benutzen, um sich für Wagenseil besser anzuziehen, so etwas war immer gut. Vielleicht kam Rieke in der Zwischenzeit zurück, trotzdem es schon jetzt nicht mehr so leicht sein würde, mit ihr zu reden. Die Stimmung war weg. Er suchte sich aus dem überfüllten Küchenschrank frische Wäsche, aus der Kammer seinen Sonntagsanzug, wusch sich gründlich und zog sich langsam an. Er nahm sogar den hellblauen Seidenschlips, den er bei jenem Abschied von Ria und seitdem nicht mehr getragen hatte. Aber er dachte nur ganz flüchtig an Ria. Er dachte auch nicht mehr an Rieke, nicht an Kalli, nicht an Kiesow,nicht an Tischendorf. Er dachte nur noch an die ihm bevorstehende Unterredung mit dem Fuhrherrn Wagenseil.
Karl Siebrecht stieg die enge, riechende Treppe in der Wiesenstraße hinunter, als ihm von unten her ein Schritt entgegenkam. Es war dunkel auf der Treppe, und Karl war nicht verpflichtet, diesen Schritt zu kennen, er ging eilig weiter.
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